Moabeet

Der Moabeet-Garten zwischen Bahndamm und den Gebäuden in der Lehrter Straße
Sebastian Wagner
Sebastian zeigt Cima di Rapa
Das beliebte Mangold
Ein Blick zum Apfelbaum...
...und in den Kompost

Ein ganz besonderer Gemeinschaftsgarten

Ein Garten-Treffen zum Interview mit Sebastian Wagner vom Moabeet e. V. 

Ein regnerischer Tag Anfang Juni. Kein guter Termin für ein Interview draußen. Von Fotowetter ganz zu schweigen. Doch sind diese Gedanken ganz schnell wie weggeblasen, denn bei Sonnenschein würde man diesen Garten sowieso lieben. Und ein „Setting für Instagram-Fotos" soll er eh nicht sein, findet Sebastian Wagner. Mir juckt es in den Fingern, wenn ich den 43-jährigen immer mal in der Erde wühlen sehe, während er mir Spannendes über „seinen" Garten berichtet. Er teilt sich das 600 Quadratmeter große Areal mit rund 30 Leuten, die im Verein Moabeet e. V. organisiert sind. Dieser Verein möchte einer „ohne Verpflichtungen" sein. Menschen mit grünem Daumen sind genauso mit an Bord wie andere, die lieber zum Quatschen vorbei kommen. Die Männer, Frauen und Kinder wohnen - bis auf eine Familie aus der Bandelstraße und eine Frau aus dem Wedding - alle in der unmittelbaren Umgebung. Die meisten von ihnen sind zwischen Anfang 30 und Ende 40. Für Eltern kleinerer Kinder liegt Moabeet-Garten ideal, weil sich direkt nebenan ein Spielplatz befindet. Sebastians Kinder sind acht und elf Jahre alt. Sie durften sich schon mit einem „Kinderbeet" ausprobieren, das dann regelmäßig vertrocknet, weil sie das Gießen vergessen. Kenne ich von mir früher. Das gehört bei Moabeet zum Lernprozess, findet der Vater. Der Garten ist nicht aufgeteilt in einzelne Parzellen, die individuell betreut werden. Alles wird gemeinschaftlich angegangen. Für 2019 wurde erstmals ein Pflanzplan erstellt, der festhält, was wo alles angebaut wird. Neben Gurken, Tomaten, Mais und Zucchini gehört Mangold zu den liebsten Gemüsesorten. Sie kann von Juni bis Oktober immer wieder geerntet werden, in dem man einige Stiele von außen abschneidet, so dass die Pflanze weiter wächst.

Insektenfreundliche Randbereiche

Kleinere Kinder drehen hier jeden Stein um und sind ganz fasziniert von den vielen Insekten, erzählt Sebastian. Der Moabeet-Garten ist ein Paradies für die Kleinlebewesen, schwärmt er und zählt Wildbienen, Maikäfer, Hummeln und Schmetterlinge auf. Im großen Gegensatz dazu sieht er viele durch die städtische Verwaltung betreute Grünflächen: „Dort blüht nichts," weil bei diesen Flächen im Vordergrund steht, dass sie möglichst pflegeleicht sind. Das hat zur Folge, dass es immer weniger für Insekten geeignetes Grün in der Stadt gibt. Dabei sind insektenfreundliche Grünanlagen und Parks auch für weitere Tiere gut. Sie ziehen Singvögel an, und auch Elstern, wie „unsere Garten-Elster", die während des Interviews immer mal vorbei gehüpft kommt. Zwei Igel sind auf dem Areal beheimatet, und ab und zu schauen auch Füchse vorbei.

Kein Strom, kein Klo und manchmal Gießwasser aus der Pumpe

Im hinteren Teil des „millionenschweren Grundstücks - so was wäre in London, Paris oder Frankfurt undenkbar", lobt Sebastian die Möglichkeiten in Berlin - hat der Moabeet-Verein eine Terrasse angelegt. Das Areal hat kein eigenes Klo, dazu müssen die Hobbygärtner nach Hause gehen, und auch keinen Stromanschluss. Der Rasen wird mit einem mechanischen Rasenmäher gekürzt, und Kaffee bringt man sich schon fertig in der Thermosflasche mit. Wasser gibt es ab Anfang/Mitte Mai, je nachdem, wann das öffentliche Wasser wegen Frostschutz geöffnet wird. Weil man viel früher mit dem Gießen anfangen muss, wird Gießwasser aus der Pumpe an der Lehrter Straße geholt, rund hundert Meter entfernt. Weil das Pumpen großen Spaß macht, konnten während der Trockenheit im vergangenen Jahr einige Kinder ganz einfach zum Helfen beim Gießen bewegt werden. Aktuell werden Fördermittel für einen Pizzaofen beantragt, damit im Gemeinschaftsgarten noch mehr gemeinschaftliche Aktionen, nicht nur aber auch mit Kindern, stattfinden können.

Gartenoase vor neuer Investorenarchitektur-Hochhauskulisse

Sebastian Wagner stammt aus Baden-Württemberg. Er kam in den neunziger Jahren nach Berlin und wohnt mit seiner Familie in der Lehrter Straße. Einen eigenen Garten - „sowas mit Laube" - wollte er nie haben, doch beschäftigen den Künstler seit Jahren schon Gartenprojekte. Los ging's 2010 mit einem Garten auf einem Parkdeck in Kreuzberg. „Das war damals eine künstlerische Intervention, bei der der inszenatorische Charakter im Vordergrund stand. Das wurde ein Bombenerfolg", erzählt er. Bei Moabeet geht es ihm um etwas anderes: „Hier gibt es keine zweite Ebene." Das ist ein Garten, in dem er gelernt hat, nicht alles beeinflussen zu können, sondern auch einfach mal etwas wachsen zu lassen. Wobei ihn auch Moabeet nicht frei von Inszenierungsgedanken lässt, wenn er auf die Baukräne hinter dem benachbarten Bahndamm sieht: „Stell Dir diesen Kontrast vor, wenn dort bald die ganzen Hochhäuser stehen." In der Tat, noch sieht man ostwärts die Kräne, kann sich aber gut vorstellen, wie der Garten mit seinen „wilden" Anteilen und dem Kompost später einmal wirkt vor den aalglatten Hochhausfassaden der Investorenarchitektur, wenn die ICE-Züge vorbei rollen.

Von Cima di Rapa bis Lavendel

„Hier wächst Knoblauch," unterbricht Sebastian und legt eine Knolle etwas frei. Ich soll sie berühren, komme also doch einmal mit meinen Fingern in die Erde. Drumherum finden sich diverse Gemüse-, Obst- und Zierpflanzen. In den vier Hochbeeten, die das QM durch finanzielle Hilfe aus dem Aktionsfonds ermöglichte, wachsen Rote Beete, Bohnen und der aus Süditalien stammende Cima di Rapa (Stängelkohl) heran. Bei den Themen Gemüse und Italien gerät Sebastian ins Schwärmen. Ihn nervt die so geringe Auswahl an Salaten und Gemüsesorten in den hiesigen Supermärkten, die vor allem dem Kriterium „gute Haltbarkeit" geschuldet sei. Eisbergsalat hält sich wochenlang, während andere Salatarten nach zwei Tagen hinüber sind. „Deshalb bekommt man sie nur auf dem Wochenmarkt." Oder man baut sie selbst an, wie hier im Hochbeet. Neben den Obstbäumen - darunter gibt es Kirsche, Pflaume und auch einen säuerlichen „Erwachsenenapfel" - sticht das Feld mit dem riesigen Lavendel besonders ins Auge. Der ist aus ursprünglich drei kleinen Topfpflanzen aus dem Baumarkt gewachsen und „sicher der größte Lavendel in Moabit!"

Moabeet als Kommunikationsort

Die Erdbeeren, Johannisbeeren und Stachelbeeren sind aktuell noch nicht reif und die Brombeerhecke noch in Blüte, aber in ein paar Wochen werden die verführerischen Früchte die Kinder vom benachbarten Spielplatz anlocken. Doch die Ernte steht laut Sebastian in dem Gemeinschaftsgarten auf öffentlichem Grund nicht im Vordergrund. Moabeet ist vor allen Dingen ein Kommunikationsort. Den Begriff „Urban gardening" (Gärtnern in der Stadt) mag er nicht, viel treffender für den Garten am Bahndamm wäre „Soziales Gärtnern". Für ihn und seine Mitstreiter ist es jedes Mal eine große Freude, sich hier etwas zu eigen zu machen, selbst zu gestalten und dabei über die Monate und den Jahresverlauf immer weiter am Ball zu bleiben. „Spielplätze sind ready-made (fertig)", sagt er, „an einem Garten hingegen ist immer etwas zu tun."

Kompost, Pionierpflanzen und Zwischenfrüchte

Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Aufwertung des armen und steinigen Bodens, der eine Lehm-Sand-Mischung darstellt, in die man kaum einen Spaten hinein bekommt, ohne darauf herum zu springen. „Der komplette Boden des Gartens war eine Katastrophe!" Sebastian erklärt, wie sich zunächst sogenannte Pionierpflanzen wie Quecke und Melde eine karge Fläche erobern, dass später andere Pflanzen nachkommen und wie sich dadurch langsam eine Humusschicht aufbaut. Er zeigt auf eine kleine Brache, die mit einer Zwischenfrucht-Mischung aus Phacelia, Senf und Serradella bewachsen ist. Jede Pflanze dieser traditionellen Mischung hat ihre besondere Funktion: Senf mit seinen bis zu zwei Meter tiefen Wurzeln lockert feste Böden auf, Phacelia erzeugt Biomasse, die sich gut zum Untermengen eignet, und Serradella ist gut für den Stickstoffgehalt. Phacelia ist übrigens auch ein Favorit der Insekten. Bienen lieben diese Pflanze, weil sie bei ihr so gut an den Blütennektar heran kommen. Ein ganz wichtiges Thema im Moabeet-Garten ist der Kompost, das eigentliche Herzstück eines biologisch geführten Gartens. Kompostieren wird von vielen unterschätzt, doch ist dabei so einiges zu beachten, z. B. sollten wenig Schalen von Zitrusfrüchten und wenige Holziges hinein, weil das schlecht verrottet. Und auch Unkraut ist ungünstig, weil man es dadurch später wieder im Garten verteilt. Zur Verbesserung des Bodens wird Hühnermist aus dem Berliner Umland besorgt.

Zukunftsausblick und eine erhaltenswerte Backsteinmauer

Auf dem Gartengelände hatte früher mal eine Spedition ihren Sitz. 2016 wurde der Gemeinschaftsgarten auf Wunsch einiger aktiver Anwohner im Zuge der Renovierung des benachbarten Spielplatzes eingerichtet. Und wie geht's weiter mit Moabeet, dieser wunderbaren grünen Oase im Moabiter Osten? Hoffentlich so gut wie bisher, meint Sebastian. Er ist gespannt auf den veränderten Ausblick durch die Hochhäuser und hofft, dass die schön bewachsene alte Backsteinwand - eine Heimat für viele Insekten und Kleinstlebewesen - trotz der dort geplanten Wegeführung erhalten bleibt.

Wer möchte mitmachen?

Moabeet ist offen für neue Leute. Wer interessiert an der Gemeinschaft und am Gärtnern ist, kann einfach vorbeikommen. Am Nachmittag und frühen Abend trifft man eigentlich immer jemanden an.

Text & Fotos: © Gerald Backhaus