Camilo für Moabit
Bücherwagen, Ulysses-Kinderbuch und viel mehr - ein Gespräch mit dem Filmemacher, Fotograf und Netzwerker Camilo Correa Costa über seine zahlreichen Aktivitäten in Moabit und außerhalb
- von Gerald Backhaus -
Spätes Frühstück im Café gegenüber der Kulturfabrik in der Lehrter Straße. Camilo Correa Costa ist mir bekannt als Vertreter der Mobilen Stadtteilarbeit in Moabit-West und durch sein Kinderbuch „Ulysses in Moabit“, das im April 2022 veröffentlicht wurde. Doch macht der Mann mit dem strahlenden Lächeln noch viele Dinge mehr, so dass es nicht gerade leicht fällt, womit wir mit dem Gespräch anfangen. Probieren wir es etwas chronologisch: 1985 wurde Camilo im chilenischen Chillán geboren. Er lernte in Chile Deutsch und kam mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Berlin. Camilo studierte Ton und Akustik und besitzt einen Abschluss als Toningenieur. Seine Diplomarbeit drehte sich um die aktive Lärmbekämpfung. Dreieinhalb Jahre lang arbeitete er als Werkstudent bei BSH und wirkte bei Filmproduktionen wie dem Actionfilm „Hexenjagd“ (2021) und der Komödie „Faking Bullshit“ (2020) als Tonmann mit und neulich als Schnittassistent bei “Martin Liest den Koran”, das Regie-Debut des aktuellen Drehbuchpreisträger Deutschlands Jurijs Saule. Seinen ersten eigenen Film, einen Kunstfilm mit dem Titel „Psychomagie“, als eine Widmung an A. Jodorowsky, drehte der Foto- und Film-Autodidakt 2014. Weitere Kunstfilme kann man in seiner Webseite finden.
Kamel Froschmann und sein Film über Chile
Camilo nimmt seine Kappe ab, auf der unter einem Kamel der Schriftzug Camelstudios steht. Der Name seiner Filmproduktion kommt daher, dass einige Leute in seiner Anfangszeit in Deutschland seinen Vornamen Camilo nicht richtig aussprechen wollten und sich daraus der Spitzname Kamel entwickelte. Inzwischen nennt sich Camilo selbst auch Kamel Froschmann. Sein jüngstes filmisches Werk heißt „Hijxs de la Rebeldía“ (Kinder der Rebellion). Dieser künstlerisch-dokumentarische Kurzfilm basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Patricio Soto. „Revolutionen brauchen mehr als Kraft und Energie, sie brauchen auch Freude, ein zärtliches Lächeln, Suppenküchen, Tanz und Musik.“ Der Non-Budget-Film reflektiert die Situation in Chile im Jahr 2019, als dort viele Menschen wegen der wachsenden sozialen Ungleichheit auf die Straße gingen. Er stellt Situationen aus dem Alltag der Demonstranten auf der Plaza Dignidad in Santiago nach, und bezieht dabei die Musik des berühmten chilenischen Sängers und Musikers Victor Jara ein.
„Hier kann jeder eine Meinung haben. Wir sind dazu da, um diese Welt lustiger, realer und lebenswerter zu machen." (Kamel Froschmann)
Camilo wohnt - nach Stationen in Friedrichshain und Schöneberg sowie im Hansaviertel - in der Jagowstraße. „Von meinen 15 Jahren in Berlin war ich 12 Jahre lang in Moabit.“ Mit der Institution Quartiersmanagement und der Stadtteilarbeit in Moabit kam er 2020 in Berührung. Er organisierte kleine Aktionen über die Stadtteilkasse der Stadtteilkoordination und den Quartiersfonds, filmisch begleitete er das Projekt " Wünsch dir was" des Moabiter Ratschlag e.V. bei dem sich Politiker in kleinen Gesprächsrunden den Fragen der Zivilgesellschaft stellten und seit Anfang 2022 ist er Mitarbeiter im Projekt zur mobilen Stadtteilarbeit in Moabit West beim Moabiter Ratschlag e.V.
Camilo als Stadtteilarbeiter
Das aus REACT-EU-geförderte Projekt mit dem Titel „Kiezmachen“ soll im Beussel-, Hutten- und Waldstraßenkiez dazu beitragen, dass durch Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten mehr soziales Miteinander entsteht. Zunächst führte das Projektteam eine aktivierende Befragung durch, bei der es um die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerschaft ging, oder wie Camilo seinen Job salopper beschreibt: „Ich spreche gerne die Leute auf der Straße an, lotse sie zu unserem gemeinsamen Essen und dann kommen wir miteinander ins Gespräch.“ Dabei erfährt er, wo den Leuten der Schuh drückt, dass ihnen zum Beispiel genug Grün in ihrem Kiez fehlt, Nachbarn sich oft nicht kennen und, obwohl es viele Beratungsangebote gibt, diese oft nicht gut zu finden sind. Basierend auf den Bedarfen und Ideen der Befragten initiieren Camilo und seine beiden Teamkolleginnen im Rahmen von „Kiezmachen“ Angebote im Gebiet, die mehr nachbarschaftliche Begegnungen ermöglichen, leiten weiter zu Beratungsangeboten und unterstützen bei der Umsetzung von eigenen Ideen. Ob Treffen zu gemeinsamen Essen, zu Pflanzaktionen und Konzerten, oder wie Anfang Juli zum Jubiläumsfest des Moabiter Ratschlags.
Camilo als Fotograf im Kiez
Als der Verein sein 30-jähriges Bestehen auf dem Ottopark in der Ottostraße feierte, war Camilo mit einer alten Kamera dabei und baute ein improvisiertes Fotostudio. Neben seinen analogen Porträtfotos schoss er dabei auch zahlreiche Handyfotos, die die Gäste sofort ausdruckten und mitnahmen. Als nächstes Projekt schweben ihm Kurse zur analogen Fotografie vor. Das wird keinesfalls Wissensvermittlung als Frontalunterricht. Stattdessen möchte Camilo „alte Hasen“ und junge Menschen, die sich für die klassische Fotografie interessieren, in ungezwungener Form zum Erfahrungsaustausch zusammenbringen. Eine Dunkelkammer benutzen zu dürfen, wäre dabei von Vorteil. Wenn keine gefunden werden kann, wird er vielleicht eine temporäre Dunkelkammer bauen. Ist das zu kompliziert, hat er einen Plan B: „Dann werden wir mit Wechselsäcken arbeiten.“
Ein Bücherwagen für Moabit-Ost und Perret
Dieses Projekt entwickelte Camilo zusammen mit seinem Freund Felix Dunkl, einem Journalisten, Künstler und DJ, der aktuell mit einer mobilen Ausstellung in Nordrhein-Westfalen unterwegs ist und deshalb beim Interview nicht dabei sein kann. Ursprüngliche Idee war eine fest installierte Bücherbank im öffentlichen Raum, wofür es jedoch leider keine Genehmigung vom Straßen- und Grünflächenamt Mitte gab. Also wurde umgeplant und mit finanzieller Unterstützung des Quartiersmanagements Moabit-Ost ein mobiler Bücherwagen aus Holz und Plexiglas entworfen und gebaut. Der Wagen erinnert von seiner Struktur her an ein Fachwerkhaus und ein „Gemüsewagen aus dem Mittelalter“. Camilo und Felix legten beim Bau selbst Hand an. Praktische Unterstützung erhielten sie vom Tischler León, von Luzi, einer begeisterten Holzkünstlerin, und von der Holzwerkstatt des Moabiter Ratschlags. Mittlerweile steht der Bücherwagen abwechselnd vor verschiedenen Einrichtungen im Kiez, aktuell gerade im QM-Büro in der Wilsnacker Straße 34. Im September soll es - ähnlich wie beim „Perreo“ im Stadtschloss - ein Fest rund um den Bücherwagen geben. Dann möchte Camilo für die Gäste eine große Paella zubereiten. Halt, was ist überhaupt ein „Perreo“? Camilo zieht ein Faltblatt heraus, auf dem „Mamut in Berlin: Poesie, Grill und Perreo“ am 9. Juli 2022 im Stadtschloss angekündigt wird. Diese Art der Veranstaltung, bei der Gedichte vorgetragen, dabei gegessen und zwischendurch wild getanzt wird, stammt aus Argentinien.
Das Kinderbuch „Ulysses in Moabit“
Das Kinderbuch „Ulysses in Moabit“ konnte Camilo zusammen mit der Illustratorin Josefina Vidal Díaz dank des Aktionsfonds Moabit-Ost verwirklichen. Basierend auf der Struktur der klassischen Heldenreise von Homer geht es darin in 12 Etappen um den Umzug eines Kindes in einen Ort namens Moabit. Die Geschichte arbeitet mit Tieren und basiert auf wahren Begebenheiten, darunter u.a. auf Fluchterfahrungen auf einem Boot auf dem Mittelmeer. Bei der Präsentation des Werkes in der Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Juni 2022 waren sowohl die anwesenden Kinder als auch die Erwachsenen sehr bewegt. Das Buch, das die Kinder auch ausmalen können, hat Camilo inzwischen kostenlos an einige Kindereinrichtungen in Moabit verteilt.
Wir haben uns etwas verquatscht. Camilo möchte zum Friseur und ich zum nächsten Termin. Und sein neuestes Filmprojekt? „Giselle“, ein Kurzfilm, der das gleichnamige Ballettwerk als „Gedicht für eine bolivianische Bäuerin“ mit der Tänzerin Diana Mora neu interpretiert. Camilo möchte diesen Film gern im Afrikahaus vorführen. Da wäre ich gern dabei.
Kontakt zu Camilo Correa Costa: www.camelstudios.de, E-Mail: be@camelstudios.de, Instagram: @kfroschmann
Text & Interview-Fotos: © Gerald Backhaus 2022