Kiezläufer Andreas Mierzwiak
Ein Mann für alle Fälle
von Gerald Backhaus
Zwischen QM-Büro und Kleinem Tiergarten - unterwegs mit Kiezläufer Andreas Mierzwiak, der hier geboren und aufgewachsen ist
Auf einen Kaffee in einem neu eröffneten Lokal in der Birkenstraße Ecke Lübecker Straße. Dieser Ort liegt am Weg der Route, die Andreas Mierzwiak fast jeden Vormittag während der Woche abgeht. Er ist Kiezläufer im Auftrag des Bezirksamtes Mitte und ist angedockt an das Quartiersmanagement Moabit-Ost. Seine Tätigkeit läuft über einen fünfjährigen Arbeitsvertrag mit dem sozialen Träger Schildkröte GmbH, einer gemeinnützige Organisation für Bildung, Jugendhilfe, Beschäftigung, Integration und Vermittlung in berufliche Perspektiven mit Sitz im Wedding. Zu den Aufgaben von Andreas gehört es das QM-Büro frühmorgens aufzusperren und den Werbeaufsteller vor dem Ladenlokal in der Wilsnacker Straße 34 zu platzieren.
Faltblätter, Plakate und Hundekotbeutel für den Kiez
Nach einer Lagebesprechung mit dem QM-Team geht er dann auf Tour, verteilt Faltblätter für Aktionen im Kiez oder klebt Plakate in die Hauseingänge, die z.B. für ein Straßenfest werben. Im Kleinen Tiergarten östlich der Stromstraße bestückt der 63-jährige einmal pro Woche sieben Kästen mit Hundekotbeuteln. 50 Stück passen hinein, macht also einen Verbrauch von 350 Beuteln pro Woche im Durchschnitt. Meistens sind die Behälter leer, wenn Andreas kommt. Ganz selten sind noch Beutel drin. „Das kommt mal vor, wenn tagelang schlechtes Wetter war und die Hundebesitzer nicht so viel spazieren gehen.“
Kein Müll im Park!
Auf seinen Wegen durch den Park kann es vorkommen, dass der Kiezläufer mal jemanden darauf aufmerksam macht, Müll nicht einfach auf die Wiese oder ins Gebüsch zu werfen, sondern dafür die Papierkörbe zu nutzen. Wer die Hinterlassenschaften seines Hundes nicht wegräumt, wird von Andreas auf die Hundekotbeutel hingewiesen. Wer ohne Leine unterwegs ist, dem empfiehlt er die Auslauffläche für Hunde im Fritz-Schloß-Park.
Früher 30 Kiezläufer am Start
Sein Terrain reicht von der Stromstraße bis zur Lehrter Straße, und von der Quitzow- bis zur Turmstraße. Findet er Sperrmüll auf den Bürgersteigen oder entdeckt er Straßenschäden, meldet Andreas das direkt an das Ordnungsamt vom Bezirk Mitte. Als er 2019 mit seiner Tätigkeit als Kiezläufer bei Schildkröte begann, „da waren wir noch 30 Leute.“ Zwischenzeitlich hießen die Kiezläufer mal Park- und Flurwächter.
„Das klang nach Förster und Rancher,“
erzählt Andreas amüsiert. Dieses Projekt für Langzeitarbeitslose über 40 Jahre wird vom Berliner Senat gefördert, um diese Menschen in diesem „geschützten Rahmen“ einsatzbereit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen. Andreas war vorher in einer MAE-Maßnahme (Abkürzung für „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung, meist auch Ein-Euro-Job genannt“) bei der Kubus gGmbH tätig. Kubus gilt als erfahrener Träger von sozialen Beschäftigungs- und Bildungsprojekten für Arbeitslose. Diese Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung, meist auch Ein-Euro-Job genannt, ist eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme in Deutschland.
Auf der "Grünen Woche"
Andreas war bei Kubus vor allem im Holzbereich tätig, „das war einer Tischlehre ähnlich“. Er reparierte Tisch und stellte Kinderspielzeug her. Gern erinnert er sich an seinen Einsatz bei der „Grünen Woche“ 2018. Da wirkte er mit, als die Wände einer Ausstellungshalle mit Holzpaletten gestaltet wurden und dann als Gerüst für Bepflanzungen dienten.
Gebürtiger Moabiter
Andreas ist ein echter Moabiter, 1960 hier geboren und aufgewachsen in einem Haus an der Straßenecke Alt-Moabit und Jagowstraße. Er erinnert sich daran, dass sich die Miete 1971 wegen Umbauarbeiten und einer neuen Heizung fast verdoppelte, so dass er mit seiner Mutter umziehen musste. In der neuen Wohnung in der Pritzwalker Straße hatte er dann einen Extra-Eingang vom Hof aus, „das war früher wohl der Dienstboteneingang“.
Von Carl-Bolle und Anne-Frank-Schule bis zur Breitscheid-Oberschule
Seine erste Schule war die heutige Carl-Bolle-Schule in der Waldenser Straße, später ging er auf die Anne-Frank-Grundschule, danach bis zur 10. Klasse auf die Breitscheid-Oberschule in Alt-Moabit „gegenüber vom Krankenhaus Moabit neben dem alten Stadtbad“. Danach folgten ein Berufsfindungsjahr, in dem er sich als Werkzeugmacher versuchen und ins Malerhandwerk hinein schnuppern konnte.
Elektriker, Fliesenleger und Maschinenführer bei Siemens
Seine Elektrikerlehre musste Andreas abbrechen, als seine Rot-Grün-Farbschwäche festgestellt wurde: „Ich konnte die verschiedenfarbigen Dioden nicht auseinanderhalten“, erinnert er sich. Eine Ausbildung zum Fliesenleger hat er auch begonnen, doch dann vorwiegend im Bereich Lager im Schichtdienst gearbeitet. „Bei Siemens war ich Maschinenführer im Kabelwerk, und auch bei B. Braun Pharmazie als Maschinenführer tätig. Das war vom Arbeitsumfeld sehr unterschiedlich: von schmutzig im Kabelwerk bis klinisch rein mit Kittel, Häubchen und Schuhe aus bei B. Braun.“
Zehn Jahre in der Grünpflege
Danach ging es weiter im Bereich der Grünpflege. Etwa zehn Jahre lang war Andreas, der selbst auch einen Schrebergarten in Treptow hat, in den Parks und Grünanlagen anzutreffen. Er liebte es besonders, „mit langen Scheren Hecken zu modellieren.“ Den Motorsägenschein und den Gabelstaplerschein hat er gemacht, kann Bäume beschneiden und fällen. Andreas ist „ein Mann für alle Fälle.“ In seinem Kleingartenverein ist er der Gartenfachberater, der den Leuten Tipps gibt und auch mal mit anpackt, wenn ein Garten zu sehr zu verwildern droht. Gern erinnert er sich an den Abschluss seiner Ausbildung zum Gartenfachberater. „Das wurde auf der Grünen Woche groß gefeiert. Wir waren rund 50 Mann und haben ein Gruppenfoto aufgenommen.“
Und wie hat sich Moabit in den Jahrzehnten verändert, die er hier verbracht hat?
„Statt Döner-Imbisse gab’s früher viel mehr Eckkneipen. Heute gibt es kaum noch welche, außer dem ‚Kaputten Heinrich’ an der Perleberger Ecke Rathenower Straße. Auch das QM-Büro war früher mal eine Kneipe.“ Als Jugendlicher in Moabit ist er mit seiner Freundesclique viel herumgezogen und auch ab und zu von der Brücke in der Fernstraße gesprungen. Besonders gern kletterten sie in Bauruinen und sammelten Schrott. In der Stephanstraße - heute unvorstellbar - standen damals viele Häuser als Folge des Zweiten Weltkrieges leer. Andreas, der heute in der Emdener Straße wohnt, bedauert, dass so viele der kleinen Läden in Moabit im Laufe der Zeit verschwunden.
Von "Startdust" und "Joe's Garage"
Und ihm fehlen die Moabiter Musikcafés wie das „Stardust“ in der Perleberger und „Joe’s Garage“ an der Stromstraße. In den Räumen, wo er früher mit freunden Billard spielte und Rockmusik hörte, befindet sich heute die Drogenhilfe-Einrichtung „Birkenstube“ befindet (Link zum Artikel). Neben seiner Tätigkeit als Kiezläufer, die nach fünf Jahren im Sommer 2024 endet, ist Andreas auch als Hausmeister in seinem Wohnhaus beschäftigt. Dort macht er u.a. die Treppenhäuser sauber und ist Ansprechpartner in Havariefällen. Also auch hier ist er „ein Mann für alle Fälle.“ Vielleicht kann er das auch weiter für die Allgemeinheit im Kiez Moabit-Ost sein. Das QM-Team sondiert jedenfalls die Möglichkeiten einer weiteren Förderung für ihn als Kiezläufer über das Jahr 2024 hinaus.
Kontakt zu Andreas, den Mann für alle Fälle?
Gern über das QM-Büro, Wilsnacker Straße 34, Tel. (030) 93492225 bzw. direkt Andreas: 015751192842
Text & Fotos (außer die zwei Privatbilder): © Gerald Backhaus 2024