Lucie Biloshytskyy und Marlen Pereira (von links)
...zu finden im linken Gebäude, rechts im Bild ist das Zillehaus
Eigene Werke zum Verkauf
Eine Projektteilnehmerin beim Arbeiten, Foto: Lucie Biloshytskyy

AnziehBar und Nähstube von der kiezküchen gmbh

Qualifizierung für den ersten Arbeitsmarkt in Moabit

von Gerald Backhaus

Unser Treffen zum Interview findet vor Ort statt. Apropos finden: Das ist gar nicht so einfach, denn das Projekt liegt etwas versteckt. Projektverantwortliche Lucie Biloshytskyy und ihre Kollegin Marlen Pereira erwarten mich in der zweiten Etage des Hochhauses hinter dem Zillehaus in der Rathenower Straße 16.

Mittagessens-Versorgung für Obdachlose und Bedürftige im Erdgeschoss

Marlen Pereira steuert mehrere Projekte sowie den Kinder- und Jugendbereich der kiezküchen gmbh. Im Erdgeschoss des Gebäudes unterhält der Träger eine Mittagessens-Versorgung für Obdachlose und Bedürftige. Außerdem wird in der Küche auch gesunde Pausenversorgung zum Frühstück für die Kinder an mehreren Grundschulen in Moabit zubereitet.

Ein Laden mit Textilien für Frauen, Männer und Kinder

Am Treppenhaus wird gerade gebaut. Oben angekommen, erwarten den Reporter an dem sonnigen Tag sehr helle Räume. Man hat von hier aus einen weiten Ausblick. Die AnziehBar und die Nähstube verfügen über einen Raum, in dem gerade eine Frau an einer der Nähmaschinen arbeitet, sowie über einen zweiten Raum. Dieser wird als Verkaufsstelle genutzt. In dem Laden, der in seiner Art an einen Vintage-, Second-Hand- oder Wohltätigkeitsladen erinnert, berät ein Mann zu Textilien für Frauen, Männer und Kinder. Er sortiert auch die Ware und lernt hier, wie der Alltag im Einzelhandel ablaufen könnte. Neben Hosen, Röcken, Kleidern, Hemden, Blusen und T-Shirts ist auch Bettwäsche im Angebot. Außerdem zu finden sind Kinderkostüme und festliche Kleidung.

Preise von 30 Cent bis 3 Euro

Alles ist sehr günstig zu haben: von 30 bis 50 Cent für ein T-Shirt bis 3 Euro für eine Jacke. Der Mann im Laden gehört wie seine Kollegin an der Nähmaschine zu den aktuell elf Beschäftigten des Projektes für Langzeitarbeitslose. Unter den anderen sind z.B. ein Bürohelfer sowie ein Fahrer, der die Kleiderspenden mit einem Auto in ganz Berlin abholt. Die Beschäftigten arbeiten hier zwischen 15 und 39 Wochenstunden. Frau Pereira sagt: „Unser Ziel ist es, Hemmnisse abzubauen. Wir bieten einen geschützten Rahmen, da wir z.B. Verständnis für die persönliche Situation aufbringen und Problemlösungen finden.“

Kleidertausch in der Bibliothek

Apropos Laden: Geöffnet ist die AnziehBar immer dienstags, mittwochs und donnerstags von 11 bis 15 Uhr. Montag und Freitag sind sogenannte „Kooperationstage“, an denen Kooperationen stattfinden können. Das Projekt beteiligt sich u.a. bei Kleidertauschaktionen. Einer seiner Kooperationspartner ist die Bibliothek von Tiergarten-Süd. Am 25. März 2024 findet dort der nächste Kleidertausch ab 12.30 Uhr statt. „Dadurch durchmischt sich unsere hier vorrätige Garderobe ganz gut. Durch gezieltes Tauschen sind „Neuanschaffungen“ nachhaltig und für jeden machbar!“

Kleiderspenden willkommen!

Private Kleiderspenden in Kartons oder Kisten gepackt sind in der Nähstube herzlich willkommen. Dabei ist zu beachten, dass der Fahrer nicht wegen drei Pullovern durch ganz Berlin fahren kann. Oder man bringt sie einfach vorbei und findet vielleicht selbst etwas im AnziehBar-Laden?

Frühstücksbeutel, Portemonnaies und Kissen aus ausrangierten Kochhosen

Lucie Biloshytskyy und Marlen Pereira zeigen stolz die Produkte der Nähstube. Dazu werden Materialien wiederverwendet (recycelt). Die hier Beschäftigten haben Frühstücksbeutel, Portemonnaies und Kissen aus ausrangierten Kochhosen oder nicht mehr verwendbaren Tischdecken hergestellt. Die Preise liegen zwischen 3 Euro für ein Portemonnaie bis 7 Euro für einen Frühstücksbeutel und 10 Euro für ein Kissen. Es handelt sich um ein gemeinnütziges Projekt, eine Gewinnabsicht besteht nicht. Von den Einnahmen kauft Projektverantwortliche Lucie Materialien wie Nähgarn, Vlieseinlagen und Reißverschlüsse ein. Wer Interesse hat, in der Nähstube etwas herstellen zu lassen, nur zu! „Wimpelketten, Täschchen, Lätzchen und Ähnliches könnten wir hier anfertigen.“

Knopf annähen, Hosen kürzen?

Alles kein Problem. Natürlich werden in der Nähstube auch Reparaturen durchgeführt. Die kiezküchen nutzen die Nähstube u.a. zur Ausbesserung von Arbeitskleidung. Doch auch Privatpersonen aus der Moabiter Nachbarschaft können sich hier kleine Defekte günstig reparieren lassen. Eine Hosenkürzung beispielsweise kostet nur 1,50 Euro.

„Ein Lebensweg muss nicht gradlinig sein.“ 

Lucie Biloshytskyy ist gelernte Textil- und Modeschneiderin. Sie hatte damit ihr Hobby zum Beruf gemacht. Außerdem hat die Projektverantwortliche freie Kunst studiert, Kostüme angefertigt, u.a. für Stelzenkünstlerinnen. Nachhaltiges Arbeiten findet Lucie erfüllend. „Ein Lebensweg muss nicht gradlinig sein.“ Das ist etwas, was sie aus ihrer eigenen Erfahrung gern an die Beschäftigten im Projekt weitergibt. „Gemeinsam entwickeln wir Perspektiven.“

Betriebliche Berufsausbildung und Weiterbildung im Fokus

Marlen Pereira, die bereits 2019 mit ihrer Arbeit bei den kiezküchen begonnen hat, berichtet, dass ihr Träger „praxisorientiert, innovativ, nachhaltig und kooperativ in mehreren Berufen aus- und weiterbildet.“ Der Bildungsträger unterstützt besonders die Übergänge in Ausbildung und Beschäftigung. Betriebliche Berufsausbildung und Weiterbildung stehen im Fokus.

Wie man von dem Projekt AnziehBar und Nähstube in Moabit erfährt? 

Vom Obdachlosenrestaurant im Erdgeschoss über das Treppenhaus ist ein Leitsystem hoch zur zweiten Etage geplant. Außerdem sollen das Quartiersmanagement Moabit-Ost sowie das Team der Mobilen Stadtteilarbeit Moabit-Ost als Multiplikatoren fungieren. Faltblätter werden in Kindergärten, Schulen und Notunterkünften ausgelegt und eine Zusammenarbeit mit dem Familienzentrum Moabit im Zillehaus vorn wird aktuell gerade angebahnt. Hinzu kommen die Kleidertausch-Aktionen in den Räumlichkeiten der Kooperationspartner Bibliothek und Nachbarschaftsladen „Stephans“, die die Bekanntheit des Projektes weiter steigern, sowie Stände bei den großen Festen wie Perlenkiezfest und Moabiter Kiezfest.

Kontakt zum Projekt?

Lucie Biloshytskyy, Projektverantwortliche der AnziehBar/Nähstube beim Träger kiezküchen gmbh, Gastronomie & Bildungszentrum Rathenower Küche, Rathenower Straße 16, 10559 Berlin, Tel.  +49-30-39782211. Fax. +49-30-93952215, E-Mail: lbiloshytskyy@bildungsmarkt.org

Text & Fotos (wenn nicht anders gekennzeichnet): © Gerald Backhaus 2024