Quartiersrat Tim Lai über Moabit-Ost, sein Engagement und was man in den Beteiligungsgremien bewirken kann
von Gerald Backhaus
Ein herrlicher Herbsttag, so dass Quartiersrat Tim Lai und ich zum Kaffee im Arema in der Birkenstraße sogar noch draußen sitzen können. Er hat vorher erfolgreich daheim die Spülmaschine repariert, erzählt er. Tim kennt diese Gegend sehr gut, denn er lebt schon seit 1999 in Moabit. Er stammt aus Taiwan und arbeitet für ein Unternehmen, dass Werkzeuge zur Holzbearbeitung herstellt. Die hat es in Deutschland nicht so einfach, weil sich hier viele Menschen als Heimwerker betätigen und sich die Geräte dazu im Baumarkt ausleihen. Das sei ein kultureller Unterschied z.B. im Vergleich mit den USA und Frankreich. Da sein Arbeitgeber eine international tätige Firma ist, pendelte Tim früher zwischen Deutschland, Frankreich und Taiwan. Heute kann er viel von Berlin aus erledigen. In den Stephankiez zog er, weil sein Lebenspartner dort damals schon eine Wohnung hatte. Die beiden haben einen mittlerweile 15 Jahre alten Sohn, um den sich Tim sehr kümmert. Der Junge sollte richtig gute Bildungschancen bekommen und besuchte zunächst eine Privatschule. Von dort wechselte er zur Kurt-Tucholsky-Grundschule. Diese sogenannte Bonusprogrammschule in Moabit hat Musikförderklassen. Da der Junge „verrückt nach Musik“ ist und musikalisches Talent hat, was auch durch privaten Klavierunterricht gefördert wurde, schaffte er es auf das Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach in Mitte. Tim musiziert selbst nicht, kümmert sich aber ehrenamtlich viel um junge Leute aus Asien, die zu einem Vorspiel an die Hochschule für Musik Hanns Eisler und die Universität der Künste (UdK) nach Berlin anreisen. Um ein Studium an einer dieser renommierten Berliner Institutionen anzutreten, muss man zunächst ein Vorspiel bestehen. Da die angehenden Studentinnen und Studenten aus Fernost oft kein Deutsch oder Englisch sprechen, hilft ihnen Tim bei der Kommunikation mit den Professoren als Dolmetscher. Das sei sehr hilfreich beim vorherigen Kennenlernen, erzählt er.
Erfolgreicher Kampf gegen Lärmbelästigung
Seit 2018 ist er Mitglied im Quartiersrat Moabit-Ost (QR). Er kam zur Mitarbeit in diesem Gremium durch eine Bekannte, die er bei einem Mediationsprojekt an der Kurt-Tucholsky-Schule kennenlernte. Das wurde vom QM gefördert, darüber erfuhr er mehr von den Beteiligungsgremien. Dass man mehr erreichen kann, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht, erlebte Tim, als er sich gegen den morgendlichen Lärm bei der Belieferung der Kantine der Theodor-Heuss-Schule engagierte. Als Einzelkämpfer war es schon schwierig, den Kantinenchef überhaupt zu einem Gespräch zu bewegen. Ein ganzes Jahr lang Beschwerden halfen nicht. Erst als Tim gegen die Lärmbelästigung eine Unterschriftensammlung initiierte und diese an den damaligen Bezirksbürgermeister sendete, regte sich endlich was. „Wenn der Lärm aufhört, bekommen Sie alle Stimmen aus unserem Haus, schrieben wir dem Bürgermeister, denn es war kurz vor der Wahl“, erinnert Tim sich. Es half. Endlich konnte die Belieferung zeitlich nach hinten geschoben werden und die Anwohnerschaft dadurch etwas länger in Ruhe schlafen.
Mehr Angebote für Ältere und ein Nachbarschaftsort, bitte!
Was die im QM-Gebiet durchgeführten Projekte angeht, die gut gelungen sind, fallen Quartiersrat Tim zuerst das Suppenfest und der Weihnachtsmarkt auf dem Hof der Tucholsky-Schule ein. Das sind wirkliche Zusammenkünfte ganz unterschiedlicher Menschen, schwärmt er. Etwas schwach hingegen fand er Projekte wie das mit dem Joggen und Müllsammeln. Beim ersten Termin kamen noch 10 bis 12 Leute, beim zweiten Mal machten nur noch fünf mit. Woran diese magere Resonanz liegt? Tim kann es nur vermuten. Die Projekte sollten attraktiver gestaltet werden, findet er. Schwierig sei es, mit Nachbarschaftsbelangen überhaupt an junge Leute heranzukommen, die sich vorrangig um ihren Broterwerb kümmern. Manche studieren und rasen morgens schnell mit dem Fahrrad weg und kommen erst spätabends zurück. Sie haben ganz andere Dinge auf dem Schirm. Und ältere Leute bleiben gern daheim, vermutet er. Aus unterschiedlichsten Gründen wie fehlenden Angeboten, Angst, Unsicherheit oder Geldmangel. Überhaupt sollte es mehr Angebote für Senioren im Kiez geben, wünscht sich Tim. Das müsste eine Aufgabe für QM und QR sein, die viel mehr an Gewicht bekommt als bisher. Denn es gibt viele alte Menschen in Moabit, die allein leben und einsam sind. Tim hat schon zwei Beerdigungen in der Nachbarschaft organisiert, weil die Verstorbenen keine Angehörigen hatten. „Hier fehlt einfach ein Ort, an dem man sich unkompliziert treffen kann“, betont er. Der Zilleklub zum Beispiel fällt längere Zeit als Treffpunkt aus, weil das Gebäude renoviert wird. Ihm schwebt ein Kiezcafé für alle vor, die hier im Kiez leben, weil das Thema Einsamkeit - nicht nur im Alter - leider immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Arbeit im Quartiersrat beschreibt Tim als konstruktiv und harmonisch. Rege Diskussionen mit kontroversen Meinungen gibt es hingegen leider kaum, bedauert er. Zudem bezweifelt er, dass es viel bringt, wenn auf einer so kleinteiligen Ebene wie einem Stadtviertel der Fokus von Projekten neuerdings auf Klimaschutz gelegt wird. Viel wichtiger wären seiner Meinung nach - neben dem Schwerpunkt auf ältere Menschen - Bildungsangebote und kulturelle Aktionen, die es schaffen, unterschiedlichste Nachbarn zusammenzubringen. Und dass die Menschen in Moabit-Ost sehr unterschiedlich sind, kann Tim sehr lebendig veranschaulichen.
Wie sich Moabit in den vergangenen 20 Jahren verändert hat?
Ihm fallen besonders die Rollkoffer der Touristen auf, die durch den Stephankiez scheppern. Hier werden viele Wohnungen nicht mehr ständig bewohnt, sondern über Portale wie AirBnB temporär als Ferienwohnungen vermietet. Das sei zu bemerken an den Schlüsselkästen mit PIN-Eingabe an den Hauseingängen. Manchmal stehe sogar das WLAN-Passwort im Fenster einer Erdgeschosswohnung. Die Struktur der Bewohnerschaft ändert sich. Sieht Tim Umzugswagen, kommen damit fast immer junge Deutsche oder Europäer an, während Türkisch- und Arabischstämmige wegziehen. Die Lebensqualität im Quartier nimmt zu, sieht man sich beispielsweise den mit viel Investitionen in Schwung gebrachten Fritz-Schloss-Park an. Generell schätzt Tim an Moabit, dass der Stadtteil so zentral liegt und bunt und vielfältig ist. Hier harmonieren verschiedene Kulturen miteinander. „Je bunter es ist, um so mehr Toleranz gibt es“, bringt er es auf einen Nenner. Zuhause kochen er und seine Familie meist chinesisch oder italienisch: „Einen Tag gibt’s Reis, am anderen Nudeln.“ Um gut chinesisch im Restaurant zu essen, muss man übrigens nach wie vor nach Charlottenburg fahren. Gute Pizza gibt’s hingegen auch in Moabit. Eines seiner liebsten Lokale ist das „Mediterraneo“ in der Lehrter Straße. Vor Jahren wurde Tim kulinarisch in Moabit auch an seine Heimat erinnert, und zwar im Restaurant „Taipeh“ am U-Bahnhof Turmstraße, doch das gibt’s leider schon lange nicht mehr.
Unser Schulsystem besser verstehen
Eine Anregung für Angebote, die auf junge Familien mit Migrationshintergrund zielen, gibt Tim am Ende mit auf den Weg. Diese Treffen sollten immer unter einem Thema stehen und statt reinen Kaffee-Treffen fokussierter sein. Sie könnten sich zum Beispiel jeden Monat mit Fragen wie diesen befassen: Was mache ich bei schlechten Zensuren? Wie kann ich für mein Kind einen Gymnasiumsplatz organisieren? Wo bekomme ich den Ferienpass her? Solche Informationen wären besonders hilfreich für Eltern, die das deutsche Schulsystem nicht so gut durchschauen. Er könnte da gut die eigenen Erfahrungen mit seinem Sohn weitergeben.
Mitmachen im Quartiersrat und der Aktionsfondsjury?
Die Quartiersratssitzungen sind öffentlich. Wenn Sie interessiert sind hineinzuschnuppern, können Sie sich sehr gern informieren und melden: https://www.moabit-ost.de/aktiv-im-kiez/quartiersrat/ https://www.moabit-ost.de/aktiv-im-kiez/aktionsfondsjury/
Text & Fotos © Gerald Backhaus 2021