Ratzfatzsatt

Küchenchefin Claudia Gullasch
...zusammen mit Steven Semrau
indische Pfannkuchen mit Pilzgemüse
Samy Otour (Auszubildender) am Kessel bei Kartoffelpüree machen
Karottencremesüppchen mit Ingwer und Sesam
Traditionell: Fischstäbchen mit Remouladensauce, Rahmwirsing und Kartoffelpüree
Ungewöhnlich gestaltete Wand
Ergün Emral (Auszubildender) beim Schnitzel anbraten
Große Brötchenauswahl zum Frühstück

Ungewöhnlicher Mittagstisch und mehr - mitten in Moabit

von Gerald Backhaus

Von außen wirkt das Gebäude auf dem GSZM-Gelände in der Turmstraße 21 etwas trist. Auch wenn man die Büroflure entlang läuft, denkt man zunächst an Ämter und Behörden, doch hat man erst einmal das Ratzfatzsatt betreten, ist man in einer anderen Welt. Ganz anders als andere Kantinen, und das ist das Lokal ja streng genommen, kommt man sich hier eher wie in einem Restaurant vor. Das liegt zum einen an der Gestaltung mit den dunklen Wänden, den vielen Bildern und an einer ungewöhnlichen Beleuchtung, vor allem aber auch an dem Angebot, an dem sich so manche Betriebskantine eine Scheibe abschneiden kann.

Claudia Gullasch ist hier die neue Betriebsleiterin und Küchenchefin. Die Köchin stammt aus dem sächsischen Chemnitz. Ihr Handwerk erlernte sie in Hotelküchen im Rhein-Main-Gebiet und in Bad Brückenau. Danach hat sie 15 Jahre lang in der Schweiz gelebt und gearbeitet. Sie war in mehreren Hotels in Zürich tätig, bevor es sie vor rund zwei Jahren zurück kam. Dort machte sie sich u.a. mit der orientalischen Küche vertraut, die ihr besonders gefällt. Ein Lieblingsgericht? „Karamellisierte Aubergine mit Korianderreis", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Ein Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland war, dass es die Schweizer einem nicht gerade leicht machen anzukommen und angenommen zu werden. "Sie sind in der Regel zuerst einmal sehr distanziert," erzählt Claudia Gullasch, „und das ist hier zum Glück ganz anders! Es hat natürlich auch mit dem Unterschied zwischen Hotelrestaurant und Kantine zu tun, aber auch mit Deutschland und besonders mit Berlin." Sie mag Menschen mit „Berliner Schnauze". Das Ratzfatzsatt war für sie Liebe auf den ersten Blick, schwärmt sie. Das lag nicht nur daran, dass sie die Arbeit mit behinderten Menschen hier so gut findet und an den angenehmeren Tages-Arbeitszeiten im Vergleich zu einer Hotelküche: „Schon an meinem Probetag war ich fasziniert davon, dass hier viele Bestandteile von Gerichten, wie z. B. Falafel und Hummus, frisch zubereitet werden und dass hier gut gewürzt wird." 

Sie lebt in Weißensee und fährt jeden Tag von dort nach Moabit. Sehr viel hat sie dadurch noch nicht vom Kiez hier mitbekommen, hätte aber durchaus Lust, ihn einmal bei einem Rundgang zu erkunden. Beim traditionellen Perlenkiezfest hätte sie viele aus der Nachbarschaft kennenlernen können, weil sie und Ratzfatzsatt dort mit einem Stand mit Suppen und Eis dabei gewesen wären, wenn Corona es erlaubt hätte. Apropos Corona, eigentlich sollte in diesem Jahr der 10. Geburtstag groß gefeiert werden. Stattdessen war das Restaurant fast zwei Monate lang geschlossen. Diese Zeit konnte gut für Umbauten genutzt werden. Seit der Wiedereröffnung wird das Ratzfatzsatt gut angenommen, wenn auch zahlenmäßig noch nicht wie zuvor. Das liegt u.a. daran, dass einige frühere Stammgäste nun auch teilweise von zuhause aus arbeiten und andere größere Zusammenkünfte scheuen. Immerhin bringt es das Ratzfatzsatt heute auf 200 bis 300 Essensportionen pro Tag. Das Lokal verfügt über 150 bis 180 Sitzplätze und kann auf seiner Terrasse 40 bis 50 Gäste im Freien bewirten. Die Zahl der verkauften Essen schwankt stark, weshalb das 12- bis 15-köpfige Team um Claudia Gullasch und Steven Semrau, der für den Servicebereich und die Gäste zuständig ist, die Öffnungszeiten verändert hat und statt der üblichen fünf Tagesgerichte aktuell nur vier anbietet. Diese sind nach wie vor sehr unterschiedlich, denn "die Abwechslung macht's!" Neben einem traditionellen Hausmannskost-Gericht, was sich immer am besten verkauft, gibt es jeden Tag auch etwas Einfaches und Preiswertes, ein vegetarisches Gericht und als viertes Gericht etwas Spezielles. Am Tag des Interviews war das Entenkeule mit Rotkraut und Klößen für 6,90 Euro, was „sehr gut lief", freut sich die Küchenchefin, zwischen 50 und 60 Portionen davon haben sie und ihr Team heute verkauft. Zwei Mal pro Woche ist das vierte Gericht etwas Verganes wie Seitan-Peperonata oder eine Mahlzeit mit geräuchertem Tofu. Ein Blick auf die Speisekarte offenbart, dass das preiswerte Gericht heute Grießbrei mit Kompott war. „Mehr süße Sachen" lautet ein häufiger Wunsch von Gästen, der sich in der Ideenbox am Eingang findet. Deshalb stehen mindestens einmal pro Woche Kartoffelpuffer, Milchreis oder Grießbrei auf der Speisekarte. Als vegetarisches Gericht gab es gebackenen Fetz-Käse und Quinoa mit Schmorgemüse - „Käse geht immer gut", merkt Claudia Gullasch an, und das „Traditionelle" waren heute mit Rinderhackfleisch gefüllte Paprikaschoten mit Kartoffeln und Tomatensoße. Morgen stehen an dieser Stelle Fischstäbchen mit Kartoffelbrei auf dem Programm, gern auch mal Schweinekrustenbraten und Hackbraten.

Die Menschen, die ins Ratzfatzsatt zum Mittagessen kommen, sind zum Großteil welche, die bei sozialen Einrichtungen hier im Gebäude und auf dem LaGeSo-Gelände arbeiten. Etwa die Hälfte kommt von auswärts, darunter aus den nahe gelegenen Gerichtsgebäuden. Zum Essen kommen Familien mit Kindern, Berufsschüler und Bauarbeiter. Es ist eine sehr große Mischung, auch sprachlich, berichtet Steven Semrau: „Wir hören hier auch viel Englisch, Russisch und Arabisch."

Manch ein Gast kommt auch vorbei, um sich etwas zum Frühstück zu holen, denn das Ratzfatzsatt öffnet bereits um 8 Uhr und offeriert neben Kaffee und belegten Brötchen ein reichhaltiges Frühstücksangebot.

Als das Interview im Kasten ist, bespricht Claudia Gullasch, die sich wünscht, dass bald auch wieder größere Veranstaltungen möglich sind, die Wochenkarte mit Steven Semrau. Der gebürtige Bayer hatte hier vor acht Jahren seine Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe begonnen und arbeitete danach sechs Jahre lang hier. Für viele Gäste ist er inzwischen „das Gesicht" des Ratzfatzsatt und wird seine Wirkungsstätte auch mit einem weinenden Augen verlassen. Doch bleibt er der Firma Lebenswelten catering & events treu und wechselt im Dezember hinüber ins neue Museums-Bistro im Humboldtforum Unter den Linden.

Kontakt: Ratzfatzsatt, Lebenswelten catering & events, Lebenswelten Restaurations GmbH,  Turmstraße 21 - Haus A - EG,  10559 Berlin,  Tel. 030 32304603, www.lebenswelten-catering.de  

Text & Fotos: © Gerald Backhaus, außer die Fotos, auf denen Essen zu sehen ist (diese stammen von Claudia Gullasch)