Moabit in Zeiten von Corona

Von daheim im Wohnzimmer aus arbeiten? Für viele ist das (noch) ungewohnt (Foto: Clara Lehmann/QM)
Eve (Foto: privat)
Ulrike Bungert: "Hier ein Foto von mir aus Sicht meines Computerbildschirms – bei der Arbeit"
Die Moabiterin mit der selbst gebastelten Maske hat uns dieses Foto gesendet...
...und hier die zehn Blumenzwiebeln in der Eierpackung
Kinder-Kunst-Ausstellung in den Fenstern des Familienzentrums (Foto: © FZM)
"Made in Moabit": Noch ein selbst gestaltetes Maskenmodell

Daheim arbeiten und gleichzeitig die Kinder bespaßen? Endlich mal Zeit für aufgeschobene Dinge oder um den Innenhof zu begrünen? Wie erleben ältere Menschen die notwendige soziale Isolierung? Wie kommen Sie in Zeiten der Krise klar? Empfinden Sie, dass in den Medien übertriebene Panikmache herrscht?

Wir, das Quartiersmanagement Moabit-Ost in der Wilsnacker Straße 34, wollten erfahren, wie es Ihnen geht und wie Sie mit der neuen Situation umgehen? Wir fragten nach kreativen Hinweisen für andere, die jetzt in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder/und von zu Hause aus arbeiten. 

Eve:

Ich bin Kindergärtnerin und im Moment zuhause. Ich bereite für die Kinder Angebote vor und mache Videos, die ich ihnen schicke. Und ich merke gerade, wie dankbar ich für meine Arbeit bin und wie sehr ich die Kinder vermisse. Sonst bleibe ich in Kontakt mit vielen Leuten und Freunden und schreibe oder telefoniere mehr als sonst. Einmal am Tag mache ich einen Spaziergang, die frische Luft tut gut! 

Ansonsten verbringe ich gerade viel Zeit auf meinem Balkon mit gärtnern und säe Blumen und Pflanzen. Was ich gerade gut finde ist, dass ich mit der Nachbarschaft im Haus vernetzter als vorher bin. 

Ulrike Bungert, Geschäftsführung GenerationenRaum gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung generationsübergreifender Interaktion mbH:

Unsere drei Kitas bieten eine Notbetreuung an, das muss je nach Anmeldungen geplant und koordiniert werden. Wir skypen dazu viel. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten Eltern von Kitakindern telefonisch, sie unterhalten einen Youtube-Kanal mit Videos für die Kinder, posten Beschäftigungstipps nach dem Berliner Bildungsprogramm auf Facebook, und einige nähen Mundschutz. Einige liegengebliebene Arbeiten kommen jetzt endlich dran. Das Erstellen der Stadtteilzeitung moabit°21 und auch das Kitanetzwerk regeln wir von zu Hause, und wir probieren fleißig wie nie neue Online-Lösungen und Möglichkeiten des Home-Office. Wahnsinn auf wie vielen Kanälen wir Kontakt zu den Menschen in Moabit haben. Meinen Lehrauftrag an der evangelischen Hochschule muss ich online durchführen – auch mal was Neues. Daneben sind eigene Kinder zu betreuen und deren Hausaufgaben, Lebensperspektiven und individuelle Problemlösungsstrategien zumindest mit zu unterstützen. Wäsche waschen, putzen, kochen – der Haushalt fordert etwas mehr als sonst. Und viele Freunde, Verwandte haben echte Probleme. Finanziell vor Allem. Auch da muss man erfinderisch sein. Aber so geht es allen, und das Gute an unseren Zeiten ist ja, dass man sich in den sozialen Medien austauschen kann. 

Eine Moabiterin:

Sie nimmt sich vor, zu Hause kleine Arbeiten ohne Stress zu erledigen. Sie trinkt in aller Ruhe ihren Tee und macht alles langsamer und ohne Hektik als sonst, wenn sie viel mehr unterwegs ist. „Habe zum Beispiel meine Aktenkörbchen aussortiert.“

Einmal am Tag geht sie raus und kauft bewusst weniger Sachen als zuvor ein. Sie macht sich ihren Balkon schön und hat sich in Eierpackungen Blumenzwiebeln eingepflanzt. Diese Idee stammt von ihrer Schwester aus der Türkei: „Da ist keine Erde drin. Man gießt sie einfach, die Pappe wird ja feucht, und dann kann man erneut gießen. Mein Balkonfenster ist fast immer offen, damit ich denke, dass ich draußen bin.“

Sie telefoniert jetzt häufiger als früher mit ihrer Familie in der Türkei, und sie regt sich nicht auf, denn „jetzt ist Geduld gefragt!“

Eine Maske hat sie sich selbst gemacht. Dazu hat sie hat sich ein Pyjama-Oberteil aus Baumwolle, das sie nicht mehr anziehen wollte, zurecht geschnitten und dann daraus die Maske genäht. Natürlich mit Verzierungen, denn „man muss ja ein bisschen freundlich wirken.“

Miriam, Sozialarbeiterin im Familienzentrum Moabit-Ost: Was bewegt uns - Alltag einer Sozialarbeiterin im Familienzentrum  

Das Familienzentrum ist ein Ort voll Bewegung und Leben - eigentlich. Doch angesichts der aktuellen Lage sind die Räume nahezu menschenleer. Auch ich habe das Familienzentrum hinter mir gelassen und mein Arbeitsleben nach Hause verlagert. Der Alltag des Familienzentrums findet nun hier und in der digitalen Welt statt. Was bewegt mich gerade jetzt? Tatsächlich wirft der neue Alltag neue Fragen auf. Die Angebote und Kommunikationswege verlagern sich in den digitalen Bereich. Ich betrete technisches Neuland. Die unendlichen Möglichkeiten des World Wide Web finden ihr Ende in mangelndem Speicherplatz des häuslichen Rechners.  Dabei erlaubt mir die ungewohnte Arbeitsform zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich muss anders denken, weg von einem realen Ort, dem Familienzentrum, hin zu digitalen Orten an denen ich die Familien zuhause erreichen kann. Technisch lerne ich dabei viel dazu: Filme drehen und schneiden, Speicherplatz-Optimierung und vieles mehr. Doch was ich vor allem lerne, ist, dass mich eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und kreatives Potential umgibt. Das Engagement vieler Menschen ermöglicht es, dass wir als Institution und auch ich als Privatperson miteinander Verbindung bleiben. Es ist dieser Zusammenhalt, der mir Mut macht für das was kommt.  Und was kommt am Ende des Tages bei meiner Home-Office-Arbeit heraus? Schaut es euch gerne selber an. Auf www.familienzentrum-moabit.de findet ihr dank vieler engagierter Kursleiterinnen, Kolleginnen und Familien wunderbare Filme, Ideen, Hilfe und Angebote für zuhause.

Eine Moabiterin, 67 Jahre, ziemlich gesund:

Ich teile hier gerne ihre Gedanken zu der gegenwärtigen Corona-Panik. Denn es wird sich erst in einigen Monaten herausstellen, ob die Sterbezahlen sich exorbitant gegenüber vergangenen Jahren geändert haben und wie. Die mediengemachte Angstverbreitung ist völlig falsch. Das soll nicht heißen, dass ich Schul-, Kita-, Geschäftsschließungen und Abstandsregeln nicht für sinnvoll halte. Diese Entscheidung kann ich schon mittragen, vor allem deshalb weil Regierung und andere Verantwortliche die gleich zu Anfang eigentlich notwendigen Maßnahmen, wie Test bei Einreisen usw. versäumt hatten. 

Was mich besonders stört ist das selbstherrliche Verhalten vieler Zeitgenossen, die andere, die sich nicht vollkommen angepasst verhalten, in Grund und Boden verdammen. Das lässt mir die Haare zu Berge stehen. Ich bin sehr überrascht, wie leicht sich so viele Menschen den Anweisungen fügen. Wovor ich am meisten Angst habe, ist die immer wieder geäußerte Ankündigung, dass es nötig werden könnte, wenn das öffentliche Leben langsam wieder anläuft, die "Risikogruppen", zu denen ich durch die Zahl meiner Lebensjahre gehöre, noch stärker zu separieren. Ungarische Verhältnisse! Nein, danke! Allerdings hat mich beruhigt, dass Rechtsanwalt Christian Ströbele (80) angekündigt hat, sofort das Verfassungsgericht anzurufen, wenn es unterschiedliche Regelungen für Alte geben wird. Und da kann ich mich drauf verlassen. Was Ströbele ankündigt, das zieht er auch durch!

JEK, Lehrer, 72 Jahre:

Der Tag beginnt und als Erstes fällt mir die Ruhe auf! Kaum Flugzeuge am Himmel über Moabit, viel weniger Autos, welche die Stromstraße hinunter jagen. Alle Menschen sind geduldiger geworden. Ich erlebe eine große Hilfsbereitschaft und Toleranz, z. B. beim Schlangestehen vor Geschäften oder auch im Internet. Mir scheint es, als ob ein allgemeines und starkes Gefühl der Solidarität über unserem Moabit liegt. Man „geht sich aus dem Weg“, aber auf eine unaggressive Weise, die mir den Wunsch eingibt, dass sich möglichst viel davon in künftige Nach-Corona-Zeiten retten möge 

Joanna E. Barelkowska:

Ich arbeite seit drei Wochen im Homeoffice. Mein Schreibtisch mit Blick auf die Wilsnacker Straße ist jetzt mein Büro. Ich arbeite meist von 9 bis 12:30 und von 14:30 bis 18 Uhr. Dazwischen ist Pause für Einkaufen, Kochen, Mittagessen mit dem Rest der Familie, der auch im Homeoffice ist, sowie für einen kleinen Spaziergang oder Laufen im Fritz-Schloss-Park. Dieser Park ist echt ein Segen für Moabit-Ost. Ich drehe meist zwei Laufrunden, ob schnellen Schrittes oder immer wieder gelaufen. Inzwischen erkenne ich andere Menschen wieder, die es tagtäglich mir ähnlich tun. So traf ich auch neulich Sedanur. Wir begrüßten uns mit dem nötigen Abstand, aber nicht weniger herzlich als sonst, und freuten uns, dass wir gesund und wohlauf sind. Das Gute an der Situation ist, dass ich jetzt häufiger verschiedene Nachbarinnen und Nachbarn aus Moabit-Ost auf der Straße oder beim Einkaufen sehe. Denn im Alltag bin ich tagsüber im Büro und bekomme nicht so viele Leute aus der Umgebung zu Gesicht. Trotzdem fehlen mir bestimmte Treffpunkte im Moabit, wo ich sonst regelmäßig hingehe und etwas mit anderen tun und mich intensiv austauschen kann. Es fehlen mir auch meine Kontakte mit Freunden und Familie, die weiter weg wohnen und die ich nicht treffe, um sie und mich zu schützen. Ich mache jetzt etwas, was ich bisher eher gemieden habe: ich tausche mit mehreren mir nah stehenden Menschen kurze Nachrichten, Fotos, Videos, die zum Lachen oder Nachdenken animieren, auch scheinbare Banalitäten, einfach um zu zeigen, dass wir aneinander denken und emotional miteinander verbunden sind. Ich habe daher im Moment häufigeren Kontakt mit mehr Menschen als sonst, auch telefoniere ich wieder häufiger, weil es doch eine sichere und doch manchmal intensive Form des Kontakts ist. Oder ich schreibe mal eine längere E-Mail. Neulich haben wir, ein Moabiter Freundes- und Lesekreis, Gedichte und kurze Textstellen miteinander an einem Tag per E-Mail geteilt. Statt uns wie jeden Monat zum Lesen zu treffen, fanden wir diesen Weg, uns Texte zu schicken, die zu der heutigen Zeit passen. Es waren sowohl Natur- und Frühlingsgedichte, philosophische und humorvolle Texte, auch Selbstgedichtetes und Selbstübersetztes war dabei. So entstand ganz nebenbei ein kleines Lesebuch zum Lachen und Nachdenken in herausfordernden Zeiten.  

Sylvia:

Es ist natürlich eine Veränderung für uns. Die Kinder sind, was die Hausaufgaben betrifft, sehr auf sich gestellt und auch der fehlende Kontakt und das gemeinsame toben mit den Freunden fehlt. Wir sind zu Haus viel enger miteinander. Arbeitsmäßig kann ich zu 50 % homeoffice machen, was aber auch eine Herausforderung und eine Erleichterung darstellt.  Herausforderung: weil ich meine Arbeit schaffen muss und den Lärm der Kinder um mich habe. Aber ich habe dafür schon eine Lösung.  Erleichterung: weil ich den Arbeitsweg nicht habe, und somit Zeitersparnis und einfach bequemer. Ich sehe aber auch eine andere Seite. Normalerweise sind die Kinder fast den ganzen Tag unterwegs und die Eltern auch und wenn wir dann zu Hause sind, sind wir entweder beschäftigt oder müde oder beides. Im normalen Alltag schleppen wir also unsere Probleme vor uns her und durch den Zeitmangel gehen wir das nicht an. Jetzt sind wir mehr zusammen und ich möchte für die Konflikte eine Lösung finden, und ich geniesse die Zeit mit den Kindern. Wir können gegenseitig voneinander lernen im Umgang miteinander. Ein wichtiger Punkt z.B. ist: Erwachsene sind meisten ernst und spaßarm und Kinder energisch und haben viel Spass. Wenn ich manche Dinge nicht so furchtbar ernst nehme und mal den Spaßfaktor wähle, ist die ganze Situation entspannter. Ich denke, dass die jetzige Situation auch eine Chance ist. Wir gehen zu Hause hoffentlich entspannt miteinander um und wir lernen nicht zuletzt, Rücksichtnahme und Verständnis für andere, z. B. unterwegs.

Zusammenstellung: Gerald Backhaus