Buchhandlung für alle
Treffen mit einem Moabiter Urgestein: Interview mit Klaus-Peter Rimpel von der Dorotheenstädtischen Buchhandlung in der Turmstraße 5
- von Gerald Backhaus -
Diese Buchhandlung müsste man erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Jede Menge Literatur über Berlin und Moabit. Und der Chef, Klaus-Peter Rimpel, ist ein Buchhändler der alten Schule im besten Sinne, also einer, der sich sehr gut auskennt mit seinem Sortiment, aber auch was den Zeitgeschmack und die Vorlieben seiner Leserschaft angeht. Und nicht nur das Tagesgeschäft betreibt er mit Hingabe, auch einen kulturellen Treffpunkt hat er in seinen Räumen gegenüber des Kriminalgerichtes in der Turmstraße geschaffen.
Literaturkreis jeden Monat
Bei seinem Literaturkreis Moabit heißt es an jedem letzten Dienstag im Monat um 19 Uhr „Geteiltes Lesen – doppeltes (Lese)Glück“. Unter diesem Motto wird über neue, alte, spannende, skandalöse, über- oder unterbewertete, auf jeden Fall lesenswerte Literatur gesprochen, so Rimpel. „Wir wählen gemeinsam aus den Vorschlägen aus unserem Literaturkreis ein Buch oder einen Autor aus, über den wir bei unserem nächsten Treffen diskutieren. Die Bücher sollen als Taschenbuch erhältlich, in Mittes Bibliotheken ausleihbar und nicht dicker als maximal 300 Seiten sein. Gemeinsam wollen wir ausschließlich Belletristik, also keine Sachbücher lesen.“ Zum Abschluss jeden Literaturkreises gibt es immer eine besondere “Gute Nacht Geschichte”. Diese Veranstaltungen präsentiert der Buchhändler gemeinsam mit Stephan von Dassel, dem früheren Bezirksbürgermeister von Mitte.
Veranstaltungen mit bis zu 90 Leuten
Bei der Veranstaltungsreihe „Justiz und Kultur“ wurden beispielsweise der „Welt“-Herausgeber Stefan Aust und ein „Tagesspiegel“-Zeichner „verhört“. Bei Spezialthemen kommen meistens 30 bis 40 Gäste, bei Zugpferden wie Horst Evers oder Wladimir Kaminer und bei politisch brennenden Themen sogar bis zu 90 Leute. Regelmäßig finden jeden Monat Lesungen von Schriftstellern in Rimpels Buchhandlung statt. Am 24. Februar 2023 kommt mit Paul Bokowski ein „alter“ Bekannter (Jahrgang 1982) vorbei, um aus seinem Roman „Schlesenburg“ zu lesen. Der Autor und Vorleser, der seit vielen Jahren „zur Speerspitze der deutschen Lesebühnenszene“ gehört, ist Gründungsmitglied von PEN Berlin und der in Berlin bekannten Lesebühne „Fuchs & Söhne“. In seinem neuen Werk erzählt er von Flüchtlingen und ihren hier Geborenen, von Heimweh und einer neuen Heimat, über den Traum von Anpassung und Wohlstand – und die Frage, wo man hingehört, wenn man nicht weiß, wo man hergekommen ist.
Berlin und Moabit als Schauplatz
Im März kommt dann Volker Kutscher mit dem mittlerweile neunten Rath-Roman in die Turmstraße. Da wird es sicher wieder rappelvoll, vermutet Klaus-Peter Rimpel, denn der Autor Kutscher ist ein Garant für „volles Haus“. Seine Bestsellerserie, deren Handlung in den 1920er Jahren begann und die unter dem Titel „Babylon Berlin“ verfilmt wurde, geht im neuesten Buch weiter ins Jahr 1937. Buchhändler Rimpel, dessen Betrieb 2019 seinen vierzigsten Geburtstag feierte, erzählt das im Hinterzimmer, in dem die Lesungen und andere Veranstaltungen stattfinden wie die szenische Lesung von Leo Hellers „Berliner Razzien“, bei der auch Liedern gesungen wurden.
Juli Zeh, Andrej Kurkow und Prinz Harry
„Zwischen Welten“, das neue Debattenroman von Juli Zeh, wurde direkt an der Kasse platziert, ein Enthüllungsbuch, die Autobiografie des englischen Prinzen Harry, hat Klaus-Peter Rimpel weiter hinten gesondert präsentiert. Er zeigt auf „Berlin Schlesischer Bahnhof“ von Julius Berstl, eine Wiederentdeckung, in der das Berlin des Jahres 1930 pulsiert. Daneben liegt ein Buch von Andrej Kurkow aus Kiew, den er schon lange persönlich kennt.
"Berlins kleinster Familienkonzern" - auch in Spandau
1979 begann Rimpel, der auf Sylt geboren wurde, mit seinem Buchgeschäft im Nachbarladen, bevor er sich durch die jetzigen Räumlichkeiten vergrößern konnte. Während wir uns unterhalten berät und kassiert sein Sohn vorn die Kunden. „Wir sind der kleinste Familienkonzern“, berichtet der Vater voller Stolz. Seine Frau und der andere Sohn führen die zweite Filiale in der Spandauer Fußgängerzone. Warum Spandau? Weil die Familie dort wohnt, und weil es dort zu den großen Buchketten lange Zeit keine Alternative gab. Mittlerweile seien diese Ketten wieder verschwunden, die Dorotheenstädtische jedoch weiterhin für die Spandauer Leserschaft da.
Kunst an den Wänden und ein offenes Ohr für die Jugend
Klaus-Peter Rimpel, in der Hand sein Markenzeichen: eine Tabakpfeife, sitzt beim Interview unter den Bildern von Geert Tuckermann, doch wechseln die, denn hier finden wechselnde Ausstellungen mit bildender Kunst statt. Vergangenen Herbst zeigte Rimpel hier Werke des Japaners Akira Nakao, der Berliner Motive malt. "Die Forschen Jungs", die Jungs-AG der Kurt-Tucholsky-Grundschule, besuchten 2018 im Rahmen der QM-Fotoaktion #MeinMoabit begleitet von Schulsozialarbeiterin Nicola Kluftinger vom Moabiter Ratschlag e.V. die Dorotheenstädtischen Buchhandlung. Da wurde über Lieblingsbücher diskutiert. Klaus Peter Rimpel war wiederholt Preisstifter für die Aktion #MeinMoabit.
Kleine Verlage werden unterstützt
Als größte Herausforderungen beschreibt Rimpel sein Bestreben, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben, was die aktuellen Entwicklungen in der Welt und in seiner Branche angeht. Er sorgt sich um kleinere unabhängige Verlage, weil das Liefersortiment der Grossisten ausgedünnt wird, was vor allem die Kleinen betrifft. Dadurch hat er ab und zu Probleme mit der Lieferbarkeit mancher Titel. Er selbst fördert durch Präsentation und Verkauf lokale Verlage wie den 1997 gegründeten und in Moabit ansässigen Verlag AvivA, der sich besonders auf Literatur von Frauen spezialisiert hat. Schwerpunkte des Verlagsprogramms sind Romane der 1920er-Jahre sowie Werke von Frauen in der Kunst sowie Kulturgeschichte. Klaus-Peter Rimpel selbst liest viel, gerade ein Buch der Französin Hannelore Cayre, die er in eine Reihe mit Émile Zola und Claude Tillier („Mein Onkel Benjamin“) stellt. Weil er die zahlreichen Neuerscheinungen selbst bei gutem Willen nicht bewältigen könnte, schaut er sie manchmal nur durch und überlegt, ob sie für seine verschiedenen Kundengruppen geeignet sind.
Harfenklänge, Fritz-Hollaender-Revue...
Während unseres Gespräches erscheint ein Mann, den der Buchhändler gut kennt. Thomas Siener ist Harfenist und drückt mir seine Visitenkarte in die Hand. Wie sich herausstellt, ist der Musiker auch schon hier aufgetreten. Am 18. Februar hat er mit seinen "Musikalischen Helden der Antike" einen Bildvortrag allerdings mal nicht in Moabit, sondern in der Schwarzsehen Villa in Steglitz. Musikalisch wurde das Jahr 2023 in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung übrigens mit einer Friedrich-Hollaender-Revue am 6. Januar willkommen geheißen. Unter dem Motto "Süß & Doof - und ohne Portemonnaie" entführten Dirk Rave am Akkordeon, "Chanson-Nette" alias Jeanette Urzendowsky und Henry Nandzik in die Welt des berühmten Komponisten, eines "Berliner Tausendsassas mit skurrilem Wortwitz".
...und die gezeichnete "korrigierte Weltgeschichte"
Auf seine privaten Höhepunkte im Programm befragt, überlegt Buchhändler Rimpel nicht lang: das waren Ausstellung und Veranstaltungen zur „korrigierten Weltgeschichte“, dem gezeichneten Briefwechsel der beiden Karikaturisten aus West und Ost, F.W. Bernstein und Manfred Bofinger. Und wie soll es weitergehen mit der Buchhandlung? Der Inhaber ist zufrieden und wünscht sich, dass es so bleiben könnte. Sein Blick schweift aus dem Fenster zur Baustelle zwischen ihm und dem Kriminalgericht: „Die Straßenbahn soll endlich fertig werden!“
Anmeldung und Informationen zu Veranstaltungen:
vor Ort oder über die Webseite https://www.dorotheenstaedtische.de, per Tel. 394 3047 und E-Mail buchhandlung.rimpel.moabit@online.de
Literaturkreis Moabit: Literaturkreis@posteo.de
Thomas Siener und Sieners Hauskonzerte: www.ThomasSienerHarfe.de
Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2023