Ein Raum für den Kiez

Linus beim Interview in der Kirchstraße
Das JVB-Ladenlokal befindet sich im grauen Haus Turmstraße 10 an der Ecke zur Wilsnacker Straße...
...und der Blick geht nach gegenüber zum berühmten Gerichtsgebäude
Der Veranstaltungsraum...
...verfügt sogar über ein Klavier
Linus mit Ausstellungsobjekten
In der JVB-Küche mit Möbeln von Linus' Großmutter

Linus vom Verein Jenseits von Birkenstraße (JVB) im Interview  

von Gerald Backhaus

Eine Gruppe junger Leute, die alle zusammen in einem Haus in der Turmstraße wohnen, betreiben einen Kiezladen, der allen daran Interessierten zur Verfügung steht. Sie gründeten einen Verein und nannten ihn in Anlehnung an die nahe gelegene Justizvollzugsanstalt (JVA), die den Ruf von Moabit prägt, schlicht und einfach JVB. Das kann sich jeder merken. Es steht für „Jenseits von Birkenstraße“ und spielt darauf an, dass sich in der Birkenstraße schon einiges in Sachen Kultur etabliert hat.

Das Interview mit Linus findet in einem Straßencafé in der Kirchstraße statt, bevor es zu Fuß hinüber in die „heiligen Hallen“ geht. Der 27-jährige Lehramtsstudent nimmt keinen Kaffee, weil er schon so viel davon während seiner aktuellen Studienarbeit getrunken hat. Er studiert die Fächer Sport und Politik an der Universität Potsdam. Derzeit ist Linus mitten im dritten Master-Semester und beschäftigt sich u.a. mit dem Bereich der Abenteuer- oder Erlebnispädagogik. Demnächst möchte er in einer Hausarbeit untersuchen, ob Kindern analoge Erlebnisse wie z.B. ein gemeinsamer Kanu-Kurs - im Gegensatz zur Beschäftigung mit Handys und digitalen Medien - gut tun. Um zur Uni nach Potsdam zu kommen, nimmt er oft sein Rennrad und legt dann, je nach dem an welchem Standort der Einrichtung er Termine hat, zwischen 20 und 30 Kilometer zurück. 

2014 kam Linus wegen des Studiums nach Berlin, nach einem halben Jahr in Potsdam zog er zunächst in den Sprengelkiez im Wedding. Durch Freunde und „den Laden“ kam es, dass er 2018 in das Haus Turmstraße 10 an der Ecke zur Wilsnacker Straße übersiedelte. Freunde von Eltern eines Mitstreiters im Verein hatten das bis auf drei Mietparteien leerstehende Haus vor ein paar Jahren gekauft und sanierten es behutsam. Freunde von Freunden zogen alle mit ein. Die insgesamt 18 jungen Frauen und Männer zählen zum Kern des Vereins, der im Herbst 2018 gegründet wurde und inzwischen seine Gemeinnützigkeit bestätigt bekam. Die Truppe besteht aus einigen, die noch studieren und anderen, die damit vor kurzem fertig wurden. Vom Ingenieur und der Psychologin bis zur Sozialarbeiterin und dem Juristen ist es eine bunte Mischung. Die Beteiligten sind zwischen Mitte 20 und Mitte 30, und mittlerweile gibt es auch zwei Kleinkinder im Haus. Alle vereint ein großes Interesse an Kultur und Miteinander. Der Verein JVB e.V. besteht zwar aus einer recht homogenen Gruppe von akademisch Gebildeten aus einer gewissen Altersschicht, möchte aber als strukturgebende Gruppe eine neutrale Plattform für alle Interessierten im Quartier anbieten. „Es ist ein Ort zum Treffen, an dem man nichts konsumieren muss", so Linus.

"Beim Namen konnten wir uns auf ‚Jenseits von Birkenstraße‘ als kleinsten gemeinsamen Nenner bei einer basisdemokratischen Abstimmung einigen“, berichtet er. In dem rund 56 Quadratmeter großen „klassischen Kiezraum“ im Erdgeschoss inklusive Küche und WC möchten sie alle einladen, hier etwas im und für den Kiez zu gestalten. Von Ausstellungen über Lesungen, Filmvorführungen und Bingo-Abende fand „vor Corona“ schon einiges Spannendes in dem Ladenlokal statt. Bei Jamsessions von Bands kommen da schon mal bis zu 50 Gäste zusammen. Regelmäßig zwei Mal pro Woche trifft sich hier die Initiative 50 plus, außerdem übt eine Yogagruppe, und immer sonnabends wird der Raum von einer Trauerbegleitungsgruppe genutzt. Es gab schon Seminare wie das zum Thema „Bikebacking“, also wie man eine Fahrradreise mit Jugendlichen gut plant und organisiert. Und auch mit der Anti-Gentrifizierungs-Gruppe „Wem gehört Moabit?“ hat sich der JVB vernetzt. 

Herzstück ist der Mittwochabend, an dem ab 19 Uhr immer das „Bergfest“ stattfindet. So nennen die Vereinsmitglieder einen „offenen Abend für Kultur“ mit Veranstaltungen aller Art, der vom Quartiersmanagement Moabit-Ost gefördert wird.

Was genau im JVB gemacht wird?

Das hängt laut Linus auch „von den Einflüssen ab, die der Kiez bringt“. Im Klartext: alle Menschen, die mögen, können einfach anklopfen und nachfragen oder schriftlich Vorschläge einbringen. Anfragen per E-Mail gehen parallel an alle Vereinsmitglieder. Wer das jeweilige Projekt gern betreuen möchte, meldet sich und übernimmt diese Aufgabe. Auch ob jemand etwas gegen eine bestimmte Veranstaltung einzuwenden hat, wird vor einer Zu- oder Absage berücksichtigt. Die meisten Leute erfahren durch Hörensagen vom JVB-Kiezladen und seinen vielfältigen Möglichkeiten. „So wie gestern, als ich Tischtennis spielen war. Da fragte auch wieder jemand danach“, erzählt Linus. Aktuell erkundigte sich jemand, der gemeinschaftlich ein Wappen für Moabit entwickeln möchte, außerdem gibt es immer wieder Künstlerinnen und Künstler - Laien und Profis - die hier gern ihre Fotos oder Gemälde ausstellen wollen.

Eingerichtet wurde der JVB-Raum größtenteils mit geschenkten Gegenständen. Darunter befinden sich ein altes Klavier, ein großer Tisch zum Essen und Spielen, 40 Holzstühle sowie die Küchenmöbel von Linus’ Großmutter. In dem Ladenlokal ist auch eine solidarische Lebensmittelverteilstation stationiert, durch die sich 10 bis 12 Haushalte mit Biogemüse aus Brandenburg versorgen, Tendenz steigend. Die Gemüsekiste wird jeden Mittwoch angeliefert. Wer mitmachen will, kauft zuvor einen Anteil der Ernte der kooperierenden Höfe. Linus mag besonders das mitgelieferte Mangold, denn das „schmeckt besser als das aus dem Supermarkt.“ Einmal im Monat kochen alle Vereinsmitglieder zusammen, dafür wird gesondert eingekauft, aber auch mal das Biogemüse verwendet. Dieses interne Vereinstreffen ist gleichzeitig ein informelles Treffen der Freundesgruppe, so Linus. In Zukunft wird es von zentraler Bedeutung für den JVB e. V. sein, wie er diese Kerngruppe des Vereins und die sehr heterogene Nutzerschaft des Wohngebietes unter einen Hut bekommt und wie man in Zeiten von Corona auf so engem Raum Kiezkultur gestalten kann.

Wer Lust hat, im JVB e. V. in der Turmstraße 10 etwas zu initiieren, wendet sich am besten per E-Mail an den Verein. Auch wer spenden oder Fördermitglied werden möchte, ist herzlich willkommen. 

Kontakt: wir@jvb-moabit.org, www,jvb-moabit.org

Text & Fotos: © Gerald Backhaus