Alte Werbung im schönen Hof Alt-Moabit 19
...und ein ganz neues Logo
Christoph von Lengerke im Büro von Trick-Reich
in der Trick-Reich-Werkstatt
Die Goldene Gans für's Fernsehen
Links an der Wand das Werk des Schweizer Künstlers Rémy Markowitch...
Am selbst gebauten Ofen

Das gemeinnützige Glasstudio in Alt-Moabit

Interview mit dem Spezialeffektkünstler Christoph von Lengerke über GlassConnection Berlin und mehr

- von Gerald Backhaus -

Der eine oder die andere kennen den Hof Alt-Moabit Nummer 19 vielleicht vom Moabiter Kunstfestival Ortstermin, bei dem Christoph von Lengerke und sein Kollege Nico Tobias Nitsch in den vergangenen Jahren mit eigenen Ausstellungen in den Räumen ihres Trick-Reiches teilnahmen. Trick-Reich heißt die Firma, die sich vor allem um Spezialanfertigungen für Spielfilme und Bühnenprojekte kümmert, ob das Waffen, Schmuckgegenstände oder Puppen sind. Die Gebäude um den Hof des imposanten Backsteinbaus teilen sich die Kreativen mit verschiedenen Künstlerateliers, einer Tischlerei und einer Bürogemeinschaft.

Ein ganz neuer Verein 

Unser Interview findet an einem sonnigen Herbsttag statt. Christoph von Lengerke stammt aus dem Münsterland und betreibt seit 17 Jahren hier im Hof seine Werkstatt. Außerdem wird heute die Abend die erste Vorstandssitzung des gerade notariell gegründeten Vereins „GlassConnection Berlin“ stattfinden. Zunächst ging es hauptsächlich um Bürokratisches. Doch bald wird es interessanter, wenn Inhaltliches vertieft und Kursinhalte besprochen werden, voraussichtlich zu Beginn des nächsten Jahres, wie wir im Nachgang zu diesem Interview erfuhren.  

Von Hermés bis zur Goldenen Gans - Rundgang durch das Werkstatt-Paradies

Rund herum ist bei Trick-Reich so viel zu sehen, dass man gar nicht weiß, worauf man sich zuerst konzentrieren soll. Diese Werkstatt wäre ein Paradies für alle, die sich für Tüfteln, Basteln und Werkeln interessieren. Das wäre sie - deshalb der Konjunktiv, weil sie leider oder besser gesagt: natürlich nicht öffentlich begehbar ist. Auch Fotos von diversen noch-geheimen Requisiten darf ich verständlicherweise nicht aufnehmen. Da wären zum Beispiel die Briefkästen und Blitzer für die Schaufensterdekoration der Modefirma Hermés, die man in Berlin bald im KaDeWe bewundern kann. Anders liegt der Fall, wenn die Werke ihren Einsatz schon lange hinter sich haben, so wie die bewegliche goldene Gans. Christoph erzählt, dass er sie vor Jahren für ein Märchen-Musical-Medley im MDR-Fernsehen anfertigte und nach den Dreharbeiten gern zurück haben wollte. Normalerweise landen seine Werke nach ihrem Einsatz im Fundus von Film- und Fernsehfirmen. Nachdem der MDR-Intendant diese goldene Gans drei Jahre lang in seinem Büro in Leipzig stehen hatte, kam sie schließlich zurück nach Moabit zu ihm.

Von Kröte und Bär, Ei und Puppe

Vorbei geht es an Arbeiten wie dem Auftragswerk des Schweizer Künstlers Rémy Markowitch, für den Christoph von Lengerke 2014 eine Kröte baute, die Tinte auf die Wand spuckt. Zu sehen war das in der Galerie Eigen + Art in Leipzig. Bei Esther Schipper in der Potsdamer Straße ausgestellt war das Werk „Who’s the Bear“ - ein Bär aus Pappkarton mit einem Karussell im Bauch - von Simon Fujiwara, das hier in Moabit gebaut wurde und aktuell in Japan zu sehen ist. Die Kröte aus Otto Waalkes Kinofilm „Catweazle“ von 2021 stammt aus dieser Werkstatt, in der Fabio, ein Kollege von Christoph von Lengerke, gerade dabei ist, Dolche für einen Filmdreh mit dem 3-D-Drucker herzustellen und ein Armband aus Kupfer und Messing zu vergolden. Der Chef zeigt an Fabians Arbeitstisch stolz ein vergoldetes großes Ei mit einer Mechanik darin. Danach „entdecken“ wir beim Rundgang eine Puppe für den Bauchredner Sascha Grammel, bekannt aus dem Fernsehen (RTL). 

Glasblasen ist eine große Herausforderung

Und da wären wir nun, im angrenzenden Raum des neuen Glasstudios. Christoph von Lengerke beschäftigt sich seit gut drei Jahren mit dem Glasblasen. Wobei, denkt er kurz nach, „bekam ich bereits mit 14 Jahren einen Bunsenbrenner geschenkt.“ Glas zu blasen, erfordert ein sehr konzentriertes Arbeiten, am besten zusammen mit mindestens einer weiteren kompetenten assistierenden Person, die einen zum Beispiel von der extrem großen Strahlungswärme abschirmt. „Es ist eine wahnsinnige Herausforderung. Die Viskosität ist bei Glas entscheidend. Während man es an bestimmten Stellen kühlt, heizt man es an anderen Stellen besonders auf.“ 2019 begann er mit Kursen in dem großen Studio von Glas Berlin in Reinickendorf, das seit 10 Jahren existiert. Vieles hat er dort gelernt. Doch wurde ihm das Arbeiten als Schüler auf die Dauer zu teuer.

Der Brennofen wurde selbst gebaut

Das war einer von mehreren Gründen, die Christoph von Lengerke dazu bewogen haben, zusammen mit einigen Mitstreitern den Verein „GlassConnection Berlin“ zu gründen und ein gemeinnütziges Glasstudio in Moabit ins Leben zu rufen. Da die meisten Vereinsmitglieder technisch versiert sind, haben sie ihren Ofen, der mit flüssigem Gas betrieben wird, selbst gebaut. Die äußere Schicht besteht aus Glasfaserwolle zur Isolierung, und die innere Schicht aus Hochtemperatursteinen. Auf 1.200 Grad Celsius lässt er sich hoch heizen. Im glühenden Zustand ist er komplett orange und „verbraucht weniger Energie, als wir gedacht haben“, sagt Christoph von Lengerke. Insgesamt rund 20.000 Euro wurden in dieses neue Glasstudio investiert, bevor im Oktober 2022 der Ofen erstmals beheizt und das erste Glas geblasen werden konnten. Allein solch ein Ofen würde zwischen 25.000 und 30.000 Euro kosten, wenn man ihn kaufen würde, schätzt der Glasbläser.

Kunstvolle Werke aus Glas in der Vitrine

Alles geschieht ehrenamtlich, betont er, und zeigt auf seine hier produzierten Werke in der Vitrine. Neben seinen Gläsern in venezianischer Art befinden sich die Arbeiten weiterer Vereinsmitglieder wie der Schauspielerin Jytte-Merle Böhrnsen und der Architektin Hilary Simon. Ihr gemeinsamer Lehrer ist der amerikanische Glasbläser und Künstler Rudolph William Faulkner, der in Idar-Oberstein Zeitgenössischen Schmuck studierte und danach begann, bei Glas Berlin e.V. zu arbeiten und zu unterrichten. Kurse und Werkstätten mit ihm sind auch im neuen gemeinnützigen Glasstudio von Moabit geplant. Nicht nur für bereits praktizierende Glaskünstler aus aller Welt, mit denen die Berliner neben dem fachlichen Austausch auch die gemeinsame praktische Arbeit ermöglichen möchten. Das faszinierende alte Handwerk neu zu beleben und weiterzugeben, ist ein erklärtes Vereinsziel und richtet sich auch an interessierte Laien bzw. Neueinsteiger.

Vom Advents-Glasblasen bis zu Kursen 2023

Bei der nächsten Veranstaltung am ersten Advent, 27. November 2022, kann man sich davon ein Bild machen, was Glasblasen bedeutet und wie dieser Prozess konkret abläuft. Dabei werden Glasobjekte und Christbaumschmuck gegen Spende abgegeben zum Aufbau des Vereins. 2023 möchte der Verein damit beginnen, auch Kindern und Jugendlichen über Kurse den Einstieg ins Glasbläserhandwerk zu ermöglichen. Zwei Varianten von Kursen seien möglich, so Christoph von Lengerke: einer zum Mitmachen, bei dem man selbst ein Trinkglas oder einen Briefbeschwerer anfertigt, und ein Fortgeschrittenen-Kurs. In einem solchen Kurs wirkt man an der Grundform eines Glases mit, das der Lehrer im Anschluss mit der komplizierten venezianischen Technik verziert, so dass ein hochwertiges Produkt entsteht. Aktuell wird der Ofen ein oder zwei Mal pro Woche angeheizt, das ist also noch ausbaufähig, je mehr Menschen Interesse am Glasblasen zeigen. „Ach, schon gewusst?“ fragt Christoph von Lengerke zum Schluss: „2022 ist das Jahr des Glases. Und Glasblasen ist ein schützenswertes Handwerk.“ Das stimmt, die „manuelle Fertigung von mundgeblasenem Hohl- und Flachglas“ wird als immaterielles Kulturerbe im Verzeichnis von UNESCO Deutschland geführt.

Kontakt zum Glasbläserstudio GlassConnection Berlin: www.glassconnectionberlin.com, E-Mail: info@glassconnectionberlin.de

Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2022