Im Paradies für Bastelwütige - die Werkstatt für alle im Kiez in der Lehrter Straße 35
von Gerald Backhaus
Wir treffen uns natürlich vor Ort. Man findet das Werkstattgebäude leicht, braucht nur über den Klara-Franke-Spielplatz in der Lehrter Straße zu gehen, der sich neben der Kulturfabrik befindet. Die 35 im Namen des Vereins 35 services e. V. geht auf die Adresse Lehrter Straße 35 zurück. Das ist die Postanschrift der Kufa und auch die der Werkstatt. Das hängt mit der Geschichte des Vereins und seinem Vorläufer zusammen, die seit nunmehr über 30 Jahren eng mit der Kufa verbandelt sind. 1991 wurde die Hauswerkstatt der Kufa gegründet, berichten Lars Eberhardt und Falko Richter beim Interview im Obergeschoss der Werkstatt. Beide Männer sind Vorstandsmitglieder des Vereins.
Lars und Falko - zwei passionierte Heimwerker
Lars (40) ist von Beruf Mediziner und lebt in der Wilsnacker Straße. Falko (35) wohnt in einem der nahegelegenen Neubauten in der Lehrter Straße. Er ist als Software-Entwickler in einem großen Unternehmen tätig. Hinter ihnen steht ein 3-D-Drucker, den ein junger Mann derzeit in Eigenregie aufbaut. Die beiden Vorstände vereint, dass sie passionierte Heimbastler sind. Lars stammt aus einer Handwerkerfamilie im Schwarzwald. Sein Großvater war Tischler, sein Onkel Maler- und Stuckateurmeister. Beide Eltern sind in elektrotechnischen Berufen tätig. „Bei uns kam fast kein anderer Handwerker ins Haus, nur der Kaminfeger,“ erzählt er. 2011 zog Lars nach Berlin, um an der Charité zu arbeiten. Zunächst wohnte er in Wedding und zog 2016 nach Moabit. Beim Verein ging’s für ihn im Jahre 2018 los, mit einem selbst gebauten Couchtisch fing er damals an. Seit 2020 ist er im Vorstand. Falko kam durch seine Kinder zum 35 services e.V. Als er mit ihnen mal auf dem Spielplatz war, entdeckte er das Werkstattgebäude. Er schaute durch’s Fenster und war neugierig, was sich wohl in dem Haus verbirgt, erinnert er sich. Falko stammt aus der Nähe von Schwerin. Sein Vater hat eine Werkstatt im Haus, dort haben sie gemeinsam Modellflugzeuge gebaut. Falko studierte Medieninformatik und lebt seit 2006 in Berlin. Balkonmöbel aus Holz waren für ihn die ersten Objekte, an denen er in der Selbsthilfewerkstatt werkelte. Mittlerweile reizt ihn vor allem das Schweißen. Im Metall-Workshop mit Fachkundigen, die das Schweißen von der Pike auf gelernt haben, geht es derzeit darum, gemeinsam einen Anhänger für Fahrräder zu bauen. Falko und die anderen reparieren aber auch Handys und Laptops. „Dafür haben wir extra Dreiecksschraubenzieher angeschafft“, ergänzt Lars und holt einen silbernen Werkzeugkoffer heraus, um sie zu zeigen. Für einen allein wäre die Anschaffung zu teuer, um mal eben das herunter gefallene Handy zu reparieren. Wenn es sowieso kaputt ist: Aufschrauben lohnt sich oft, rät er. „Ich kann alles und nichts“, sagt Lars lachend und betont, dass es wichtig sei, keine Angst davor zu haben, immer wieder etwas Neues auszuprobieren. „Ist die Scheibenbremse an einem Fahrrad auszutauschen, dann fuchs ich mich da rein!“
Von der LKW-Garage zur Kiez-Werkstatt
Zurück zur Historie: Die Hauswerkstatt stand seit den Neunzigern den verschiedenen Gruppen der Kufa, wie z.B. dem Filmrauschpalast, tatkräftig zur Seite. Damals ging es neben der handwerklichen Unterstützung von Kino, Theater und Konzerten darum, das denkmalgeschützte Fabrikgebäude vor dem Verfall zu retten und wieder in Betrieb zu nehmen. Dann kam das eigene Bauprojekt hinzu, als aus der LKW-Garage neben dem Spielplatz die offene Werkstatt für den Kiez wurde. Dazu wurde der Garage u.a. ein Obergeschoss mit Schrägdach aufgesetzt. Durch tatkräftige Unterstützung und Betreuung des QM Moabit-Ost und sehr viele Eigenleistungen der ehrenamtlichen Heimwerker entstand die neue Werkstatt von 2014 bis 2016 in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachfirmen sowie mit einer Projektsteuerung. Fördermittel von insgesamt 180.000 Euro gab’s dafür aus dem Baufonds „Soziale Stadt“. 2007 ging schließlich aus der Hauswerkstatt der 35 services e. V. hervor. Rund 35 ordentliche Mitglieder hat der Verein zur Zeit, einige vorläufige Mitglieder kommen hinzu. Die Palette der hier vertretenen Berufe reicht vom Tischlermeister und Schlosser über den Künstler, die Studentin, den Azubi und den Grafiker eben bis zum Arzt und Software-Entwickler. Das Durchschnittsalter der Vereinsmitglieder schätzen Falko und Lars auf um die 40 Jahre. Alle sind Ehrenamtliche. Erst im Sommer 2021 konnten zwei Mini-Jobs eingerichtet werden, was seitdem für etwas ausgedehntere Öffnungszeiten sorgt.
Hilfe zur Selbsthilfe und keine Auftragswerkstatt
Einmal im Monat trifft sich der Verein, dann werden Projekte besprochen und überlegt, wer bei was helfen kann. Zudem gibt es einen regelmäßigen Stammtisch immer jeden zweiten Montag im Monat um 19 Uhr im Café oder im Biergarten der Kufa. „Das ist als Kennenlern-Veranstaltung für Interessierte gedacht,“ so Falko. Der 35 services e. V. bietet seine „Dienste“ im Kiez an, und zwar als Hilfe zur Selbsthilfe. Was das genau bedeutet? Sich eine Küche von den Vereinsmitgliedern renovieren zu lassen, geht nicht, beschreibt es Lars ganz plastisch, denn „wir sind keine Auftragswerkstatt“. Wer aber einen Eckschrank selbst planen und bauen möchte, bekommt dabei Unterstützung. Das kann bereits mit dem Materialeinkauf losgehen, weil der Verein durch sein Kundenkonto bei manchen Holz- und Metallhändlern Rabatt bekommt. Hinzu kommen, wenn gewünscht, die Beratung, wie man das Vorhaben angehen sollte, sowie die ganz praktische Unterstützung mit Werkzeugen, die nicht jeder zu Hause hat. Ausleihen geht übrigens nicht, denn die Arbeit mit den Werkzeugen soll vor Ort in der Werkstatt geschehen. Ausnahmen gibt’s natürlich mal, wenn jemand beispielsweise einen Bolzenschneider braucht, weil sein Fahrradschlüssel abgebrochen und das Schloss nicht aufzukriegen ist. „Ausleihbar sind ansonsten nur die Müllgreifer, mit denen man den Spielplatz säubern kann“, ergänzt Falko.
Nicht nur Fahrrad: Von Holz bis Metall und Siebdruck
Neben der Holz- und Metallwerkstatt gibt es eine Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt und eine Elektronikwerkstatt. Dort geht’s genauso darum, Handys und Laptops zu reparieren wie auch 100 Jahre alte Röhrenradios. Eine Siebdruckwerkstatt ist aktuell im Aufbau. An einem Durchschnittstag sind drei bis fünf Leute in dem Werkstattgebäude zugange, schätze Falko und Lars. Während der Öffnungszeiten geht es oft um kleinere Dinge, wenn Menschen aus dem Kiez vorbeikommen, vor allem sind es Fahrradreparaturen. Reparieren ist ein großes Thema. genauso wie das Vermeiden von Müll. Beim Lötkurs für Kinder wurde ein Weihnachtsbaumständer angefertigt. Jeden zweiten Mittwoch geht es nach dem Motto „Blech und Malz“ um Metallarbeiten wie Schweißen und Löten.
Kooperationen sind das A und O
Der 35 services e. V. kooperiert - neben der Kulturfabrik natürlich - mit den "Kufakids", die im Container hinter der Werkstatt ihr Domizil haben, und mit dem MINT Impuls e.V. Dieser Verein ist besonders in Sachen Jugendarbeit aktiv, die Buchstaben MINT stehen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Zusammen mit den jungen Leuten von MINT gab es vor Corona jeden Monat zwei feste Kurstermine bei 35 services. Beim Workshop zum Thema Löten ging es da u.a. um die Grundlagen der Elektrotechnik. Da wurden kleine Schaltkreise gebaut und Fragen wie „Was ist eine Spule, und was ist ein Widerstand?“ beantwortet. Prinzipiell kann jeder das Wissen der Vereinsmitglieder nutzen, auch Schulklassen sind herzlich willkommen. Zur Berufsfindung wurden auch schon Schulpraktika in den Bereichen Holz und Metall absolviert. Mit dem Gemeinschaftsgarten MoaBeet in direkter Nachbarschaft verbinden den Verein nicht nur einige Mitglieder, die sowohl da als auch dort aktiv sind. Man unterstützt sich gegenseitig. So halfen die 35 services der Gartentruppe zum Beispiel beim Bau ihres Gewächshauses. Der Verein ist gemeinnützig und wirbt um Spenden für seine laufenden Kosten wie Miete, Heizung, Strom, Versicherungen und Verbrauchsmaterial. Seit November 2020 wird er durch den Bund und das Land Berlin im Rahmen der Zukunftsinitiative Stadtteil, Programm Sozialer Zusammenhalt gefördert.
„Events können wir!“
Was die Zukunft angeht, da wünschen sich Lars und Falko vor allem mehr regelmäßige Veranstaltungen wie den gelungenen „Tag der offenen Tür“ 2021, denn „Events können wir!“ An dem Sonntag im August wurden den Interessierten nicht nur die Werkstätten gezeigt. Ein Mitglied, das hauptberuflich Künstler ist, bot kreatives Malen für Groß und Klein an, eine Nachbarin gab spontan ein kleines Konzert mit ihrer E-Geige, und dazu wurden Kaffee und Kuchen gereicht. „Und dass wir an den Wochenenden immer eine offene Tür haben, also dass dann jemand vor Ort ist, um Interessierte aus der Nachbarschaft mit ihren Fragen und Anregungen zu betreuen.“ Vielleicht können ja sich die zwei Mini-Jobs über 2022 hinaus verlängert werden?
Kontakt: https://35services.de
Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2022