Skip to main content
Kulturfabrik im Juli 2022. Bild: Jürgen Schwenzel
Lehrter 35 1990. Bild: Stephan Koppelkamm

Aus dem Archiv des B-Ladens #2

Kulturfabrik - für Kultur und sozialen Zusammenhalt in Moabit

Zahlreiche Ordner mit Informationen über Moabit füllen eine ganze Wand. Sie beherbergen das Archiv des B-Ladens, das zukünftig online zugänglich sein wird. Allein drei ganze Ordner widmen sich einer besonderen Einrichtung, der Kulturfabrik in der Lehrter Straße.

Das Haus der Kulturfabrik blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Gebaut wurde es in den Jahren 1911-12 nach dem Entwurf des Architekten Ernst Scharnke als Fabrik- und Lagerhaus des Wertheimkonzerns.

Industrie und Lebensmittelproduktion sorgten für viel Betrieb: Eine Heeresfleischerei, Konservenproduktion, die Bäckerei und Konditorei des Kaufhausunternehmens, die Berliner Confitüren- und Cakes-Fabrik und die Firma Emil Hoffmann für Nährmittel, mit Sahne-Vertrieb und Magarinewerk. Auch der Schweizer Schokoladenhersteller PH Suchard mit einer Niederlassung in Lörrach war hier ansässig und ließ bereits 1901 die lila Marke „Milka“ beim Kaiserlichen Patentamt eintragen. Der Wertheimkonzern wurde 1937 von den Nationalsozialisten enteignet. Nach dem Zweiten Weltkrieg existierte noch Hoffmanns Keksfabrik.

In dem sanierungsbedürftigen Gebäude wurde es in den 1970er-Jahren still. Fenster und Türen waren verrammelt und das Haus dämmerte vor sich hin. Von der Wertheim-Grundstücksgesellschaft fiel es wie andere Häuser in den Besitz des Herti-Konzerns und wurde vom Bezirk Tiergarten im Auftrag des Senats 1983 gekauft. Anwohnende, Studierende und Kunstschaffende protestierten gegen den schlechten Zustand und möglichen Abriss und schlossen sich in Bürgervereinen gegen die Stadtplanung zusammen. Nach der Öffnung des Hauses für die Ausstellung „Weichenstellungen“ des Sanierungsträgers S.T.E.R.N. und Plänen für eine behutsame Stadterneuerung begann mm Mai 1991 die künstlerische Übernahme des Hauses. Damit war der Verein Kulturfabrik Lehrter Straße 35 geboren. Bis heute vertritt er als Dachverein das Haus gegenüber Behörden und der Öffentlichkeit. Die verschiedenen Kultursparten sind in selbständigen Vereinen organisiert.

In der Kulturfabrik finden regelmäßig Filmvorführungen im Kino und open Air statt sowie Konzerte, Theaterproduktionen, Filmworkshops, Ausstellungen und Partys statt. Eine Haus-und Kiezwerkstatt und ein Café gibt es ebenfalls. Die Kulturfabrik versteht sich nicht nur als Ort für Kultur, sondern auch als soziokulturelles Zentrum. Die Mitstreiter betreuen beispielsweise Kinder und Jugendliche des Viertels und bieten ihnen die Möglichkeit, Kultur zu entdecken, selbst etwas zu machen und sich neue Welten zu erschließen. Der Verein Kulturfabrik Lehrter Str. 35 ist Freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Längst hat sich die Kulturfabrik zu einer beliebten Adresse weit über die Grenzen Moabits hinaus einen Namen gemacht.

Auf eine Sanierung des Gebäudes mussten die Aktivisten 20 Jahre warten. Als Voraussetzung dafür konnte die Kulturfabrik erst 2012 den Selbstverwaltungsvertrag mit dem vom Land Berlin eingesetzten Treuhänder, der GSG gGmbH, unterzeichnen. Ab August 2020 konnten die Sanierungsarbeiten endlich beginnen.

Zusammengetragen wurde das Archiv von Mitstreitern des B-Ladens in der Lehrter Straße, die seit über 30 Jahren Anwohner zu Fragen des Wohnens und der Quartiersentwicklung beraten. Im Rahmen des QM-Projektes „Kiezwissen aus dem B-Laden archivieren, digitalisieren und publizieren“ wird das Archiv in Kooperation mit dem Verein Miomaxito aufbereitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In einer Serie wird über die Themen des Archivs berichtet.

Katja Gartz